Birgit Seeberger arbeitet seit 1994 im Amt für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung (ASW)

Wir suchten gemeinsam nach Lösungen und das machte viel Spaß.

Birgit Seeberger

Birgit Seeberger arbeitet seit 1994 im Amt für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung (ASW). Die Arbeitsstruktur im ASW ermöglicht ihr eine Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort.

Den Leipziger Westen betreut sie seit 2007 in intensiver Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren vor Ort. Aufgrund der ungewöhnlichen Blockentwicklung kennt Birgit Seeberger viele Eigentümer persönlich.

Welchen Ansatz verfolgte die Stadtverwaltung Leipzig beziehungsweise das ASW beim Stadtentwicklungsprozess im Bildhauerviertel?
Die Josephstraße, später das Bildhauerviertel, war ein sehr verwahrloster Bereich. Es gab viele Brachen, viel ruinöse Bausubstanz und keine Investoren. Der damalige Eigentümer der Nachbarschaftsgartenfläche wollte im Blockinnenbereich mehrgeschossig bauen, aber die Stadtverwaltung lehnte den Bauantrag ab, weil das nicht genehmigungsfähig war.

Wann ist dieser Prozess gestartet worden und warum lag der Fokus auf der Josephstraße?
Eine Art Motor für die Entwicklung waren die engagierten Leute der Nachbarschaftsgärten. Sie kamen damals auf die Stadtverwaltung zu und schlugen vor, über Workshopprozesse mit allen Beteiligten und Eigentümern die Entwicklung des Viertels in Gang zu setzen.

Birgit Seeberger
Birgit Seeberger setzt sich gerne mit engagierten Gruppen an einen Tisch und bespricht, wie man gemeinsam eine Lösung finden kann.

Welche städtischen Maßnahmen haben vorgelagert im Leipziger Westen die Entwicklungen in der Josephstraße begünstigt?
Es gab Schlüsselmaßnahmen, die für die Stadtentwicklung entscheidend waren. Der Ausbau des Henriettenparks und des Stadtteilparks Plagwitz. Die Investitionen rund um den Karl-Heine-Kanal haben einen wichtigen Impuls gesetzt. Angelockt durch das besondere Flair der Industriearchitekur zogen wieder junge Menschen nach Plagwitz, das zuvor fast komplett entwohnt war. Aber alle diese Maßnahmen hatten dennoch keine positiven Auswirkungen auf die Josephstraße.

Welche konkreten Maßnahmeninstrumente kamen im Stadtentwicklungsprozess zum Einsatz?
Es fanden zweimal pro Jahr verschiedene Workshops statt, in denen Entwicklungskonzepte für den Block erarbeitet wurden. Das Stadtplanungsamt und das ASW haben deren Moderation finanziert und gemeinsam mit dem Lindenauer Stadtteilverein eine Vermittlerrolle zwischen den Akteuren vor Ort übernommen. Die Veranstaltungen wurden ehrenamtlich vor- und nachbereitet und der Moderator stand insbesondere für die Ergebnisorientierung.

Kann man sagen, dass speziell im ASW eine Offenheit für neue Formen der Stadtentwicklung vorhanden war, die sich in Instrumenten widerspiegelte wie der Gestattungsvereinbarung oder auch der Etablierung von HausHalten e.V.?
Auf jeden Fall. Diese Art von Bürgerbeteiligung war damals ein Novum in der Stadtverwaltung, sich auf einen von unten kommenden Prozess einzulassen.

Die Akteure vor Ort haben mit ihrem Schweiß Pionierarbeit geleistet. Das hat weite Kreise gezogen

Welche Bedeutung hatte das Zusammenspiel mit lokalen Akteuren?
Eine hohe! Sie haben die Initiative ergriffen und mit großem zeitlichen Aufwand die verschiedenen Grundstückseigentümer kontaktiert. Das wäre von städtischer Seite aus gar nicht zu leisten gewesen. Sie haben dafür gesorgt, dass alles in Gang kommt.

War dies ein Beispiel für eine gelungene Arbeitsteilung?
Wir sind auf jeden Fall näher zusammengerückt. Ich würde von einer neuen Arbeitsweise zwischen Bürgern und Verwaltung sprechen. Plötzlich saßen alle an einem Tisch und dadurch hat sich eine fruchtbare Zusammenarbeit ergeben, die auf viele Schultern verteilt wurde. Die Akteure vor Ort haben mit ihrem Schweiß Pionierarbeit geleistet. Das hat weite Kreise gezogen.

Wie vertritt das ASW ein solches Ergebnis intern und vor den Bürgern? Es war ja eine unübliche Herangehensweise und das Ergebnis war nicht vorauszusehen?
Im ASW hat man viel Spielraum in seinem eigenen Arbeitsfeld. Heute ist diese integrierte Arbeitsweise ein wichtiges Schlagwort, aber trotzdem findet sie viel zu selten statt.

Im Prozess gab es verschiedene Interessen und Motivationen. Welche Bedeutung kommt Deiner Meinung nach der Moderation der Workshops zu?
Fritjof Mothes hat als Moderator hier eine Schlüsselrolle innegehabt. Durch seine Ortskenntnis, sein Wissen um die Hintergründe des Leipziger Westens war er ein Glücksgriff für den Prozess und wurde von allen akzeptiert.

Der BuchKindergarten in der Josephstraße in Leipzig Lindenau.
Der Buchkinder e.V. hat sich im Laufe des Stadtentwicklungsprozesses für die Josephstraße als Standort für den ersten BuchKindergarten ausgesprochen
Tauschbibliothek des BuchKindergartens in Leipzig Lindenau.
Die Idee der Tauschbibliothek ist aus der Anwohnerinitiative zur Straßenneugestaltung entstanden. Die Bibliothek ist von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang geöffnet
Ein Blick in die verkehrsberuhigte Zone der Jospephstraße.
Der verkehrsberuhigte Bereich, während des Stadtentwicklungsprozesses umgangssprachlich Spielstraße genannt, ist aus der Neugestaltung der Josephstraße entstanden. Die lokalen Akteure träumten von einer Spielstraße, später wurde daraus ganz offiziell der verkehrsberuhigte Bereich, der jetzt ein Symbol für die Zusammenarbeit zwischen Stadtverwaltung und Anwohner ist

Welche Meilensteine möchtest Du erwähnen?
Das Leuchtturmprojekt BuchKindergarten und die Neugestaltung der Josephstraße waren städtische Hauptinvestitionen. Auch die Entwirrung der komplizierten Grundbuchschulden des Grundstücks, das Sebastian Stiess erworben hat, war ein wichtiger Moment.

Wo lagen Hemmnisse und Hürden in diesem Entwicklungsprozess?
Die Zusammenarbeit mit dem Verkehrs- und Tiefbauamt war für mich ein schwieriger Prozess. Das lag weniger an den Personen als in der Struktur des Amtes. Selbst wenn man versucht hat, an einem Strang zu ziehen und Ziele gemeinsam zu erreichen, hatte es doch viel mit persönlichem Engagement der einzelnen Akteure zu tun.

Wie beurteilst Du nach dem jetzigen Stand die Entwicklung?

Sehr positiv. Zu unser aller Staunen ist das Viertel eine bunte Mischung, bewohnt von jungen Leuten, Familien mit Kindern, es gibt einen Kindergarten. Die Vielfalt und Offenheit in der Straße dokumentiert meiner Ansicht nach den Prozess sehr gut. Es ist keine sterile Neubaulandschaft entstanden. Da prallen auch einmal Lebensstile aufeinander.

Birgit Seeberger in der grünen Oase der Nachbarschaftsgärten.
Seit 2003 haben sich die Nachbarschaftsgärten in eine »grüne Oase« verwandelt. Für einige Teile endete die Zwischennutzung 2015. Die Eigentümer der Flächen machen jetzt wieder Gebrauch vom noch bestehenden Baurecht
Die Bar befindet sich auf einer der Gartenflächen, für die ein neuer Pachtvertrag erstellt wurde. Im September 2016 setzen sich der Eigentümer und der Nachbarschaftsgärten e.V. neu zusammen, um über die Zukunft der Gärten zu sprechen.
Die Bar befindet sich auf einer der Gartenflächen, für die ein neuer Pachtvertrag erstellt wurde. Im September 2016 setzen sich der Eigentümer und der Nachbarschaftsgärten e.V. neu zusammen, um über die Zukunft der Gärten zu sprechen.

Die Nachbarschaftsgärten als wichtige Plattform für die Stadtentwicklung standen von Anfang an in diesem Widerspruch, dass eine erfolgreiche Entwicklung die Existenz dieser Gärten verkürzt. Wie beurteilst Du diesen Widerspruch?
Die Nachbarschaftsgärten waren Impuls und Motor und ich sehe den Widerspruch. Als die Bebauungspläne entstanden sind, hätte ich mir eine ähnliche Gesprächs- und Austauschkultur gewünscht, wie wir sie in den anfänglichen Workshops hatten. Die Pioniere, die das mit ihrem Schweiß aufgebaut und den Prozess in Gang gebracht haben, sind allerdings nicht mehr die heutigen Nutzer.

Welche Prozesse und Instrumente aus der Entwicklung sind für Dich übertragbar?
Übertragbar ist das Konzept, dass man Eigentümer, lokale Akteure und die Stadtverwaltung an einen Tisch und ins Gespräch bringt. Einzigartig und nicht übertragbar ist der Glücksfall, dass ein großer Teil der Gartenfläche einem einzigen Eigentümer gehörte, mit dem man einen Vertrag schließen konnte.

Was waren Deine persönlichen Höhepunkte?
Mit den Menschen an einem Tisch zu sitzen, Pläne und Konzepte zu entwickeln und nicht die klassische Rolle der Stadtverwaltung spielen zu müssen. Wir suchten gemeinsam nach Lösungen und das machte viel Spaß.

Info

Birgit Seeberger lebt seit 1994 in Leipzig. Die studierte Diplom-Geografin ist seit 1994 als Stadterneuerin im ASW tätig. Bis 2006 war sie Sachgebietsleiterin in Grünau und seit 2007 betreut sie die Sanierungstätigkeit im Leipziger Westen.

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