Wir wollen nicht nur in unserem Theaterhaus bleiben, sondern raus auf die Straße gehen, mitwirken, diskutieren und Veränderungen herbeiführen.
Michael Schramm
Dr. Michael Schramm ist gelernter Handelskaufmann und studierter Kulturwissenschaftler. Er war Lehrbeauftragter am Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig und ist aktuell Administration & Education Director der Schaubühne Lindenfels e.V.
Dieses Gespräch ist Teil eines Parcours von Wantalon.
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Michael, wie lange arbeitest Du schon in der Schaubühne?
Seit 2016, also viele Jahre nach der Aktion auf dem Jahrtausendfeld.
Wie erhielt das Feld überhaupt seinen Namen?
Das »Jahrtausendfeld« in Leipzig erhielt seinen Namen durch ein Kunstprojekt der Schaubühne, das um die Jahre 1999/2000. Nach diesem Projekt wurde das Feld durch das Theater der Jungen Welt genutzt, welches dort ein Theaterzelt aufstellte. Diese Verbindung und Nutzung des Feldes führten dazu, dass es im allgemeinen Sprachgebrauch als »Jahrtausendfeld« bezeichnet wurde. Diese Bezeichnung hat sich so fest etabliert, dass das Feld mittlerweile auch auf Google Maps so geführt wird, was den Namen offiziell zu machen scheint. Es sieht so aus, als würde der Name Jahrtausendfeld nun dauerhaft bestehen bleiben.
Woraus bestand die Aktion der Schaubühne damals?
Das Kunstprojekt umfasste den Anbau von Roggen innerhalb von zwei Anbauperioden. Dies geschah nach traditionellen Methoden, wobei Pferde und Pflüge eingesetzt wurden. Das Feld, das zuvor Teil eines Industriegebiets war, bestand aus Maschinenhallen und Gebäuden, die abgerissen wurden, sowie aus großflächigen betonierten Arealen. Dieses Projekt war im Rahmen der Expo 2000 durchgeführt und kofinanziert worden.
Zur gleichen Zeit, als am Jahrtausendfeld Roggen angepflanzt wurde, entstand die neue Landebahn des Flughafens, wofür viel Mutterboden abgetragen wurde. Dieser wurde dann in langen LKW-Kolonnen auf das Jahrtausendfeld gebracht, sodass dort jetzt eine etwa ein Meter hohe Erdschicht liegt. Darunter befindet sich jedoch Beton, was zukünftige Bauvorhaben auf diesem Gelände erschweren könnte.
Der Roggen wurde von einer lokalen Mühle verarbeitet und daraus wurde das ›Jahrtausendbrot‹ gebacken.
Interessante Luftaufnahmen aus jener Zeit zeigen die damals angelegte Topografie, die auch heute noch auf Google Maps erkennbar ist. Diese Aufnahmen zeigen Wege, die quer über das Feld verlaufen – es sind dieselben Pfade, die bereits 1999 angelegt wurden. Zwischen diesen Wegen, in den großen freien Flächen, wurde der Roggen angebaut.
Wurde der Roggen verarbeitet?
Der Roggen wurde tatsächlich verarbeitet. Eine Mühle, deren genauen Namen ich nicht kenne, hat den Roggen gemahlen. Anschließend hat eine lokale Bäckerei daraus Roggenbrot gebacken. So entstand das sogenannte »Jahrtausendfeldbrot«. Ich kann allerdings nicht genau sagen, wie viel produziert wurde oder ob es ausschließlich aus dem Roggen des Feldes stammte, vielleicht wurde das Angebot später erweitert.
Wenn direkt darunter eine Betonfläche ist, dann ist das Feld gar nicht kontaminiert?
Ein Teil des Feldes ist kontaminiert. Dies betrifft insbesondere eine quadratische Fläche von etwa 50 mal 50 Metern wo früher eine Gießerei stand. Der Boden in diesem Bereich ist tatsächlich verschmutzt. Diese Fläche wurde einst von der Treuhand an eine spezialisierte Gesellschaft übergeben. Die Sanierung dieses Bereichs stellt eine echte Herausforderung dar. Wenn man dort bauen möchte, müsste entweder der kontaminierte Boden bis zu einer Tiefe von 10 Metern ausgehoben werden, vor allem wenn ein Keller geplant ist.
An der Stelle des Jahrtausendfelds stand ja einst die Landmaschinenfabrik Rudolph Sack. War es auch ein Sackscher Pflug, mit dem dem das Feld bewirtschaftet wurde?
Ob es sich tatsächlich um einen Sackschen-Pflug handelte, dessen bin ich mir nicht sicher. Aber der Pflug, der für das Denkmal ausgewählt wurde ist, ist ein Sackscher Pflug. Das historische Foto, dass als Referenz genutzt wurde, zeigt ein Pferd zwischen einem Baum und einem Pflug und diente als Inspiration für das Denkmal, das um 2018 oder 2019 errichtet wurde.
Der Pflug symbolisiert die Geschichte der Landmaschinenfabrik Rudolph Sack, die auf diesem Gelände angesiedelt war. Diese Fabrik entwickelte Ende des 19. Jahrhunderts den besagten Pflug und machte ihn zu einem der ersten großen Serienprodukte in der Landwirtschaft. Der Pflug wurde weltweit vielleicht hunderttausendfach verkauft und trug zur Revolutionierung der landwirtschaftlichen Produktion bei. Er war einfach zu bedienen, robust und erschwinglich, sodass auch kleinere Bauern ihn sich leisten konnten. Das Besondere an diesem Pflug war seine Fähigkeit, tiefe Furchen zu ziehen, was die Fruchtbarkeit der Felder erhöhte. Dieser Erfolg trug wesentlich zum Erfolg der Landmaschinenfabrik Sack bei.
Wer war Rudolph Sack? Hast Du hierzu ein paar Informationen für uns?
Die Landmaschinenfabrik gründete Rudolph Sack im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts. Sie spielte eine wichtige Rolle in der Entwicklung des Leipziger Westens. Sack war ein klassischer Industrieller, ein großer Investor und Erfinder seiner Zeit und etablierte sich als Nachfolger von Karl Heine. Unter seiner Führung baute er eine Maschinenfabrik auf und galt als typischer Vertreter der Gründerzeit.
In den 1920er bis 1940er Jahren nahmen Sacks Söhne unrühmliche Rollen in der Politik ein, mit Verbindungen zur SA und dem Einsatz von Zwangsarbeitern auf dem Fabrikgelände – ein Teil der Geschichte, der nie vollständig aufgearbeitet wurde. Nach dem Krieg wurde die Fabrik kollektiviert. Im Zuge der Entnazifizierung im Osten Deutschlands wurde Sacks Name zunächst beibehalten, bevor die Fabrik umbenannt wurde.
Heute existiert eine Nachfolgefirma in Großzschochern, die weiterhin Landmaschinen herstellt.
Wie lange sind Pfüge in der Fabrik produziert worden?
Der Pflug wurde im Laufe der Zeit immer weiter entwickelt. Der erste Pflug, der von der Fabrik produziert wurde, sah anders aus als die Modelle, die 50 Jahre später gefertigt wurden. Die Produktion von Pflügen dauerte bis 1989 an, wobei die Modelle, die bis zum Zweiten Weltkrieg gebaut wurden, vermutlich einfacher in der Konstruktion waren, möglicherweise mit einem oder zwei Scharblättern.
Nach dem Zweiten Weltkrieg passte sich die Produktion den Bedürfnissen der industriellen Landwirtschaft an. Es wurden größere Pflüge für Traktoren hergestellt, die auf die Anforderungen moderner landwirtschaftlicher Betriebe zugeschnitten waren. Diese Entwicklung spiegelt den technologischen Fortschritt und die Veränderungen in der Landwirtschaft über die Jahrzehnte wider.
Viele Leute wussten nicht, warum das Feld ›Jahrtausendfeld‹ genannt wird, selbst jüngere Angestellte der Schaubühne konnten die Frage nicht beantworten.
Das Denkmal wurde ja von der Schaubühne initiiert und umgesetzt. Wie kam es von der Idee zum fertigen Denkmal?
Die Entscheidung, ein Denkmal am Jahrtausendfeld zu errichten, war ein eher spontaner Prozess. Wir hatten Kontakt zu den Leitern der Fabrik in Großzschochern. Es gab Gespräche über das Jahrtausendfeld, die Pflüge und die Produktion, und bald darauf entstand die Idee, ein sichtbares Zeichen zu setzen.
Viele Leute wussten nicht, warum das Feld »Jahrtausendfeld« genannt wird, selbst jüngere Angestellte der Schaubühne konnten die Frage nicht beantworten. Wir gingen auf der Straße herum, fragten Leute während Straßenfesten und stellten fest, dass nur wenige die Geschichte kannten. Ein paar ältere Leute wussten zwar Bescheid, aber es war nicht allgemein bekannt.
Dann kam die Idee auf, ein Denkmal zu errichten, um die Geschichte des Ortes zu markieren, auch angesichts der unsicheren Zukunft des Feldes – es gab Pläne für Schulen, Eigentumswohnungen, sogar eine Chipfabrik. Wir dachten an eine Gedenktafel, entschieden uns dann aber für etwas Größeres, fast lebensgroß, und platzierten es ähnlich wie das Hollywood-Schild an einer Böschung, sodass es nicht so leicht umgeworfen werden kann.
Die Kollegen von den Landmaschinen halfen uns, indem sie das Material sponserten und uns erlaubten, es in ihrer Werkstatt in Großzschochern zu bauen. Eine Baufirma half uns beim Transport und beim Aufstellen. Unser Hausmeister schneidet alle zwei Jahre die Äste zurück, damit das Denkmal nicht zuwächst. Es wurde schon als Einhorn dekoriert und mit Graffiti versehen, was wir auch okay finden.
Das Denkmal ist offiziell als temporäres Monument genehmigt, steht aber auf städtischem Grund. Die Talsperrenbehörde, die für die Uferböschung zuständig ist, fand die Idee großartig. Wir gehen davon aus, dass es dort für eine lange Zeit stehen wird.
Du hast jetzt schon von den künstlerischen Reaktionen auf das Denkmal erzählt. Gab es noch andere Reaktionen auf das Denkmal?
Es gab eigentlich nur Positives. Auch von den Kids, die den Volleyballplatz auf dem Feld gebaut hatten. Die fanden das großartig. Sie haben damals 1.000 Fotos auf Social Media gepostet, als als der Tieflader mit dem Kran kam. Die Art der Response aus dem aus dem Viertel war wirklich super.
Es ist ein symbolisches Säen von Roggen, aus dem Neues erwächst und das die Grundlage für Veränderung bildet.
Trägt das Denkmal zu der industriellen Geschichte Leipzigs bei oder geht es um die Zeit davor? Man sieht einen Menschen, der mit einem großen Gerät und Tieren hantiert. Ich würde eher an die Bearbeitung des Feldes denken, als an die Herstellung des Pfluges.
Die Idee der Beackerung des Jahrtausendfeldes, sowohl historisch als auch metaphorisch, ist durchaus treffend und beabsichtigt. Historisch gesehen spannt sie einen Bogen von den Dörfern Plagwitz und Lindenau in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als Leipzig noch weit entfernt war und das Gebiet landwirtschaftlich genutzt wurde. Diese historische Perspektive reicht bis zum Jahrtausendfeld, wo tatsächlich wieder Landwirtschaft betrieben wurde.
Die metaphorische Bedeutung der Beackerung des Jahrtausendfeldes steht in engem Zusammenhang mit der Entwicklung des Leipziger Westens nach 1989. Es geht darum, den Boden im übertragenen Sinne zu beackern, um den damals überall sichtbaren Verfall und die große Depression, die Ende der 90er Jahre herrschte, zu überwinden. Es ist ein symbolisches Säen von Roggen, aus dem Neues erwächst und das die Grundlage für Veränderung bildet.
Diese Metapher spiegelt auch das wider, was die Schaubühne in den letzten Jahren gemacht hat. Es geht nicht nur um Theater in der Blackbox oder den eigenen vier Wänden, sondern darum, auf die Straße zu gehen, mitzuwirken, zu diskutieren und mitzugestalten. Der Leipziger Westen zeichnet sich durch viele Akteure aus, die sich dieser Aufgabe angenommen haben, besonders in Anbetracht der dramatischen Stimmung, die herrschte, als Betriebe schlossen und Menschen weggezogen sind und Häuser leerstanden.
Anfangs gab es Pläne, wie die Errichtung einer Chipfabrik, aber die Idee entwickelte sich weiter, dass der Stadtteil nicht unbedingt industriell bleiben muss, sondern auch ein Zentrum für Kultur und Tourismus werden könnte. Zuerst wurden wir dafür vom Kulturamt ausgelacht, aber 15 Jahre später wird die Baumwollspinnerei in der New York Times als »The Place to be« gefeiert.
Und dann klopfen sich alle auf die Schultern und vergessen leicht die Mühen der vergangenen 20 Jahre.
Info
Dr. Michael Schramm ist gelernter Handelskaufmann und studierter Kulturwissenschaftler. Er war Lehrbeauftragter am Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig und ist aktuell Administration und Education Director der Schaubühne Lindenfels e.V.Credits
- Das Interview führte Petra Mattheis
- Fotos von Regentaucher