Wir haben die Gärten gehegt und gepflegt und wollen sie nicht einfach aufgeben.
Karla Müller
Karla Müller übernahm 2006 eine freie Gartenfläche in den Nachbarschaftsgärten und ist mit Unterbrechungen seit 2009 Teil des Vereinsvorstands. Gemeinsam mit Anna Schimkat betreute sie die Öffentlichkeitsarbeit für den Erhalt der Nachbarschaftsgärten. Wir führten das Interview im Herbst 2015.
Wie bist Du zu den Nachbarschaftsgärten gekommen?
Wir sind 2006 zurück nach Leipzig gezogen und haben dann bald Nachwuchs bekommen. Dadurch waren wir viel in der Nachbarschaft unterwegs und sind auf die Gärten aufmerksam geworden. Irgendwann haben wir uns hineingetraut. Zum Glück war noch eine Fläche frei und Barbara Drinhausen hat uns alles gezeigt – so wurde das Stückchen direkt am Zaun dann unsere Gartenfläche.
Wie viele Flächen gibt es insgesamt?
Wir bekommen viel mehr Anfragen als Flächen vorhanden sind. Inzwischen haben wir die Gärten stärker geöffnet und nun können viele die Gemeinschaftsflächen als Treffpunkt mit Kindern und Freunden nutzen und beteiligen sich an der Gartenpauschale, dem Nasengeld, auch wenn sie gerade keine eigene Gartenfläche haben. Insgesamt haben wir etwa 100 zahlende Gartennutzer und 30 Vereinsmitglieder. Außerdem gibt es viele Besucher oder Nachbarn, welche die Holz- und Fahrradselbsthilfewerkstatt nutzen, die freitags für alle geöffnet ist. Im Winter haben wir uns oft im Strohballenhaus getroffen, das ist im Herbst 2014 leider abgebrannt. Aber einige handwerklich begeisterte Gärtner haben einen alten Zirkuswagen aufgetrieben und den in Stand gesetzt. Das ist nun unser neues Winterquartier.
Aus wievielen Grundstücken wurden die Nachbarschaftsgärten insgesamt zusammengesetzt?
Christina Weiß hatte es vor meiner Zeit geschafft, mit den unterschiedlichen Eigentümern der damals brach liegenden Flächen Zwischennutzungsverträge abzuschließen und den Nachbarschaftsgärten somit überhaupt erst Gartenland zu erschließen. Das war ursprünglich als zeitlich begrenztes Projekt angelegt und hat sich dann aber schnell zu einem Motor der Stadtentwicklung hier im Leipziger Westen entwickelt. Ein Grundstück gehört der Stadt und andere sind in privater Hand. Eine große Brachfläche, die zuvor einer Schweizer Immobilienfirma gehörte, wurde Ende 2014 verkauft. Die Schweizer hatten ursprünglich große wirtschaftliche Pläne mit der Fläche, als dann aber der Aufschwung auf sich warten ließ, hatten sie sie wahrscheinlich als Fehlinvestition verbucht. Es wurde uns ja vorgeworfen, dass wir uns nicht bewegt haben. Es war aber auch Taktik, wir wollten sie nicht aufrütteln und wieder an ihr Grundstück erinnern. Der Zwischennutzungsvertrag lief bis Ende 2015 über den Lindenauer Stadtteilverein. Wir haben einen neuen Pachtvertrag bis Ende 2016 mit dem neuen Besitzer abgeschlossen. Somit bleibt zumindest die Gemeinschaftsfläche als Teil der Nachbarschaftsgärten erhalten. Das grüne Herz des Gartens wird allerdings bebaut, auch die große Märcheneiche wird im Frühjahr 2016 gefällt. Wie es nach dem zugesicherten Jahr Pacht weiter geht, wissen wir noch nicht. Wir haben mit Stadtratsanträgen, einer Petition, Zeitungsartikeln, Gartenaktionen und Demos dagegen gekämpft und haben versucht, dieses grüne Eiland in Lindenau zu erhalten. Das hat nicht geklappt und die Baupläne sind festgesetzt. Es entstehen neue Eigentumswohnungen mit Tiefgarage.
Was sind die Nachbarschaftsgärten für Dich? Mit welchen Worten würdest Du diesen Ort beschreiben?
Es ist ein Ort, der immer wieder Neues hervorbringen kann. Es ist ein Freiraum, um Freunde zu treffen und in der Natur zu sein. Es gibt verwunschene Ecken und Spielorte für Kinder, an denen sie nicht permanent unter Aufsicht der Eltern sind und die Gegend erforschen können. Es ist eine Art Miteinander, ohne künstliche Kontrolle von außen.
Und das unterscheidet ihn von städtischen Flächen wie Parks?
Ja, das kann man überhaupt nicht vergleichen. Mein Großvater nannte das mal eine Wildenei. Es geht nicht darum die größten Zucchini zu ernten. Es ist vor allem ein Ort, an dem man sich treffen kann. Der Garten steht jedem offen, man muss nicht gleich Mitglied werden, nur weil man ein- oder zweimal dort hingeht. Von Spielplätzen unterscheidet sich der Garten auch, weil hier nicht alles TÜV-geprüft ist. Es gibt ein selbstgezimmertes Baumhaus, Rutschen, Haufen, in denen sich die Kinder verstecken können. Wir wollen den Garten nicht so absichern wie einen öffentlichen Spielplatz.
Gibt es Regeln, an die sich die Nutzer halten müssen?
Bei uns gibt es nur sehr wenige Regeln. Hunde müssen draußen bleiben aus Rücksicht auf die vielen Krabbelkinder. Und auf den Gemeinschaftsflächen wird nicht geraucht, es gibt aber einige Raucherecken. Der Garten lebt davon, dass jeder mithilft. Wir arbeiten alle ehrenamtlich und wer den Garten genießt, den bitten wir dann auch mitzuhelfen, indem er Holz hackt oder Laub zusammenkehrt.
Wie viele öffentliche Gelder flossen seit 2004 in den Garten?
Es gab keine monatlichen Zuwendungen oder Ähnliches. Aber wir waren an einigen Projekten, wie zum Beispiel ExWoSt – Jugend im Bildhauerviertel beteiligt, für die dann auch Gelder geflossen sind. Einzig relativ stetige Zuwendung war die Finanzierung des jährlich stattfindenden Freifflächensalons. Das ist ein großes Gartenfest für uns Gärtner und für alle anderen. Es gibt unter anderem rumänisches Essen, selbstgebackene Pizza, einen Espressostand, Livemusik und Aktivitäten für Kinder, und wir tanzen bis in die Nacht. Den Freiflächensalon haben wir in den letzten Jahren aber auch komplett aus eigener Tasche und Kraft der Gärten organisiert und sogar einiges an Geld eingenommen.
Ihr habt versucht neue Konzepte zu entwickeln. Was hattet ihr vor?
Wir hatten damit begonnen, gemeinsam mit der Triasstiftung und dem Haus und Wagenrad e.V. ein eigenes Konzept für kollektive Mehrgenerationshäuser und integriertes Wohnen zu entwickeln. Es ging um gemeinschaftliches Wohnen. Aber dafür hätten wir mehr Zeit gebraucht. In der Vergangenheit gab es viele Programme, die über den Garten als Plattform gelaufen sind. Es wurden Klettergerüste mit Jugendlichen gebaut, eine Solarküche installiert und die Werkstatt für Projekte im Viertel genutzt. Auch die Gespräche zur Gedenkstätte der jüdischen Familie, zur Gründung des BuchKindergarten und zur Gestaltung der Josephstraße fanden bei uns im Garten statt. Als wir vor zwei Jahren vom bevorstehenden Verkauf der Fläche erfuhren, gab es eine Abstimmung unter den Mitgliedern, ob wir diese erwerben wollen. Durch das Votum wurde klar, dass wir keine Besitzer werden wollten, sondern diesen öffentlichen Raum für alle erhalten möchten.
Hättet ihr die Gärten dann aber nicht wie zuvor weiterbetreiben können?
Die Erfahrung aus anderen Projekten hat gezeigt, dass sich die Wahrnehmung verändert, wenn man 100 Gärtner hat und zehn davon gehört das Gelände.
Aber jetzt habt ihr das Problem, dass ein Großteil der Fläche wegfällt.
Es wurde damals von Summen gesprochen, die niemand von uns in seinem Sparstrumpf hat. Es ging um Verbindlichkeiten, Kredite und Belastungen, die jeder einzelne hätte auf sich nehmen müssen. Die Dimension war abschreckend. Für mich ist es unrealistisch, einen Kredit für 100.000 Euro aufzunehmen, damit die Gärten erhalten bleiben.
Die Nachbarschaftsgärten waren ein Vorzeigeprojekt für bürgernahe Stadtentwicklung, mit dem sich die Stadt geschmückt hat.
Aber wer hätte diesen übernehmen sollen?
Wir haben über Jahre hinweg eng mit der Stadtverwaltung zusammengearbeitet. Die Nachbarschaftsgärten waren ein Vorzeigeprojekt für bürgernahe Stadtentwicklung, mit dem sich die Stadt geschmückt hat. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass dieses Projekt fallengelassen wird. Wir dachten, dass es auf bürokratischer Ebene sicherlich eine Lösungsmöglichkeit gäbe, wenn wir weiterhin aktiv blieben und die Fläche öffentlichkeitswirksam bespielen. Zwischen der Stadtverwaltung und uns gab es immer wieder Gespräche, die uns über Jahre das Gefühl gaben, dass wir gemeinsam eine Lösung finden werden. Im Sommer 2014 hatten wir politische Vertreter von drei Parteien eingeladen, die gemeinsam einen Stadtratsbeschluss erwirkten, in dem es um die Erstellung eines Konzepts zur Verstetigung der Nachbarschaftsgärten ging. Wir haben dann einen Mitarbeiter des Haus- und Wagenrat e.V. dafür gewinnen können, mit uns an der Konzepterstellung zu arbeiten und wollten mit dem ASW die Modalitäten hierfür besprechen. Da wurde uns jedoch mitgeteilt, dass die Arbeit an einem Konzept nun nicht mehr stattfinden solle, da schon längst ein Käufer gefunden wurde und das deshalb nun keinen Sinn mehr mache. Der Stadtratsbeschluss wurde also nicht umgesetzt und die Nachbarschaftsgärten mit dem angekündigten Verkauf vor vollendete Tatsachen gestellt.
Aber die Fläche war ja privat, was hätte da die Stadtverwaltung tun sollen?
Ursprünglich war eine Durchwegung vorgesehen, weil es keine Verbindung zwischen Joseph- und Siemeringstraße gibt. Diese wurde in der Bauvoranfrage nicht berücksichtigt. Da hätte man nachhaken können. Wenn sich die Stadtverwaltung und der Eigentümer nicht einigen, dann kann die Stadtverwaltung den Bebauungsplan ändern. Dies hätte meiner Meinung nach schon im Vorfeld passieren müssen. Aufgrund des enormen Bevölkerungszuwachses gibt es viel zu wenige Grün- und Spielflächen im Viertel und auch die Umweltbelastung durch das erhöhte Verkehrsaufkommen wird durch die Nachbarschaftsgärten etwas abgemildert. Wir haben gekämpft, aber letztlich keinen Weg gefunden.
Was war mit der Petition?
Wir haben 4.000 Unterschriften mit vielen emotionalen Kommentaren gesammelt, die zeigen, dass den Menschen die Nachbarschaftsgärten sehr wichtig sind und sie sich ein Viertel ohne sie nicht vorstellen können. Diese haben wir im Stadtrat eingereicht, aber sie können den Eigentümer ja nicht enteignen. Es wird uns kritisch ausgelegt, dass wir in die Öffentlichkeit gegangen sind. Aber es muss doch eine Öffentlichkeit hergestellt werden können, in der solche Dinge verhandelt werden, statt in bilateralen Gesprächen.
Was wäre denn noch möglich?
Wir könnten eine Fläche ohne Zugang zur Straße für 100.000 Euro kaufen oder für ein Jahr pachten. Die Nachbarschaftsgärten in ihrer aktuellen Ausformung wird es nicht mehr geben. Die Frage ist, ob wir noch Energie haben, um etwas Neues zu entwickeln. Stadtpolitisch finde ich es krass, dass ein Projekt, das die Entwicklung des Stadtteils so ungemein beförderte, jetzt einfach sang- und klanglos sterben gelassen wird. Das neue Konzept sieht nun vor, dass Fahrradwerkstatt und Holzwerkstatt erhalten bleiben und es weitere Angebote für die Öffentlichkeit geben wird.
Die Strahlkraft der Nachbarschaftsgärten kann gar nicht zu hoch bewertet werden.
Wie war Dein Eindruck von dem Viertel, als Du 2006 hierher gezogen bist?
Die Josephstraße war ruinös. Wir waren einer der erste Stadtgärten in Leipzig, mittlerweile ist ja eine Bewegung daraus entstanden. Die Strahlkraft der Nachbarschaftsgärten kann gar nicht zu hoch bewertet werden.
Die Stadtverwaltung weiß, dass die Nachbarschaftsgärten der Motor für die Stadtentwicklung waren. Für die Verwaltung waren die Zwischennutzungen aber immer befristet und für die Nutzer war es ein Freiraum.
Das eine ist das rechtliche Konstrukt und das andere ist die Vision. Wir werden gerade abgespeist, weil das Konstrukt nicht mehr funktioniert und belächelt wegen unserer Vision. Aber die Vision hat doch immer noch Wirkungskraft. Durch die Aufwertung des Viertels gibt es kaum noch Freiraum. Es wohnen hier immer noch viele, junge Familien mit wenig Geld, die nicht in Urlaub fahren können. Wo gehen die dann mit ihren Kindern hin?
Glaubst Du, dass das, was hier passiert ist, überall hätte stattfinden können?
Was hier stadtplanerisch passiert ist, grenzt an ein Wunderwerk. Es gab so viele Menschen, die sich mit ihren Wünschen und Träumen für eine lebenswerte Stadt eingebracht haben, ihre Phantasie und Zeit freiwillig gegeben haben. Das habe ich so nirgendwo erlebt. Das ist eine Vision, an der alle zusammenarbeiten, weil sie die für lebenswert halten.
Zwischennutzungen sollte man nicht eingehen, stattdessen eher einen langfristigem Pachtvertrag abschließen. Ist das Dein Fazit?
Das ist die Lehre daraus, weil die Zwischennutzung sonst schnell zur Ausbeutung wird.
Was würdest Du jemandem raten, der vorhat, eine Zwischennutzung einzugehen?
Er müsste von Anfang an eine Kaufoption oder eine Option zur langfristigen Nutzung aushandeln. Das ist natürlich schwierig, wenn man mit Elan anfängt und noch nicht absehen kann, was daraus wird. Falls dies nicht möglich ist, dann sollte man es besser lassen. Denn es wird schmerzhaft sein, das Gewachsene zurückzulassen. Das wird von uns gefordert und man versteht nicht, dass wir gegen eine Räumung kämpfen. Aber wir haben es doch gehegt und gepflegt und wollen es nicht einfach aufgeben.
Mehr als die Summe der Einzelteile
Dieses Gespräch ist Teil einer Dokumentation über die Entwicklung des Bildhauerviertels in Leipzig Lindenau. Die Broschüre enstand in enger Zusammenarbeit mit dem Amt für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung (ASW) und dem Lindenauer Stadtteilverein e.V..
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