Portraitaufnahme von Jana Reichenbach Behnisch, Geschäftsführerein des Tapetenwerks Leipzig

Was wäre, wenn wir selber Leerstand managen würden?

Jana Reichenbach Behnisch

Tapeten werden schon seit geraumer Zeit nicht mehr im Tapetenwerk produziert. Bevor Jana Reichenbach-Behnisch das Gelände im Jahr 2007 erwarb, wurden hier Platzdeckchen für die Lufthansa gefertigt.

Gemeinsam mit Ihrem Ehemann Heiko Behnisch entwickelt sie das Gelände seitdem schrittweise zu einem Ort für kreativ arbeitende Menschen. Auf dem Gelände haben sich mittlerweile zahlreiche Künstler, Architekten, Designer, Fotografen und Handwerksbetriebe angesiedelt.

Wir haben Jana in ihrem Architekturbüro besucht und sprachen über kurze Wege, die Definition von Raum und natürlich über die Entwicklung des Leipziger Westens.

Der Haupteingang des Tapetenwerks an der Lützner Straße in Leipzig Lindenau.
Der Haupteingang des Tapetenwerks befindet sich an der Lützner Straße.

Wie lange seid ihr mit der Idee schwanger gegangen, bevor ihr den Entschluss gefasst habt, das Tapetenwerk zu kaufen?
Insgesamt etwa sechs Monate. Es ging also relativ schnell. Allerdings hat sich bereits ein, zwei Jahre zuvor abgezeichnet, dass wir eine Veränderung in unserer Arbeits- und Lebenswelt anstreben wollten. Als von der Treuhandgesellschaft das Grundstück angeboten wurde, haben diese Gedanken dann eine konkrete Richtung bekommen. Wir hatten allerdings zuvor nicht geplant, eine industrielle Brache zu kaufen. Das Angebot kam somit für uns unerwartet und war nicht vorhersehbar.

Wie seid ihr das dann angegangen?
Wir haben die Idee erst einmal ganz pragmatisch abgeklopft. Würde man „so etwas” überhaupt tun? Ich hatte über meine Arbeit als Architektin nachgedacht und darüber, wie ich gern weitermachen möchte. Ich hatte mich bereits intensiv mit angewandter Bauforschung und Leerstandsmanagement beschäftigt.

Nun stellte sich die Frage: „Was wäre, wenn wir selber Leerstand managen würden?”. Durch das Angebot der Treuhand wurde diese Option plötzlich greifbar und es musste schnell entschieden werden. Wir haben verschiedene Freunde und Bekannte gefragt, was sie von der Idee der privaten Eigentümerschaft hielten. Wir würden eine Art „Brainpool“ schaffen und alle mit kurzen Wegen auf einem Grundstück vereinen, mit denen wir zusammenarbeiten.

Das Feedback war äußerst positiv und viele sagten uns, sie würden sofort mit hinziehen, was später dann auch 50% getan haben. Das hat uns zusätzlich beflügelt. Aber es war nicht so, dass wir schon immer dachten: „Irgendwann in unserem Leben werden wir eine Immobilie von 6000 m2 besitzen und diese kreativwirtschaftlich bespielen.” Das war nicht unser Lebensziel.

Aussentreppe zu einem Architekturbüro im Tapetenwerk.
Zwei Fliegen werden mit einer Klappe geschlagen. An der Fassade angebrachte Brandschutztreppen befördern das Konzept der kurzen Wege.
Blick über Leipzig Lindenau von einem Dach des Tapetenwerks.
Vom Dach aus hat man einen wunderbaren Blick über Leipzig-Lindenau.
Portraitaufnahme von Jana Reichenbach-Behnisch.

Wem gehörte das Grundstück ursprünglich?
Das Tapetenwerk war in der Gründerzeit die zweitgrößte Tapetenfabrik Deutschlands und in der DDR ein volks­eigener Betrieb. Nach der Insolvenz der Firma wurde das Gelände von der Treuhandgesellschaft verwaltet, von der wir das Tapetenwerk zu guten Bedingungen kaufen konnten. Unser Konzept, das Tapetenwerk als einen Ort für Kreative zu entwickeln, hat überzeugt und sich auch positiv auf den Kaufpreis ausgewirkt und somit die Finanzierung ermöglicht.

Die Treuhand war vermutlich glücklich, dass wir das Grundstück wollten. Industriebrachen wie das Tapetenwerk sind schwer zu vermitteln. Es ist ja ein extrem langgezogenes Grundstück, eingekeilt zwischen zwei andere Industrieareale, obendrein noch in einem Mischwohngebiet und dann noch mit einer Adresse Lützner Straße, die ja auch nicht unbedingt sehr attraktiv war.

War es also Zufall, dass ihr in diesem Viertel gelandet seid?
Jein. Hätte es ein vergleichbares Grundstück in einem anderen Viertel gegeben, dann wäre es durchaus möglich gewesen, dass wir dieses gekauft hätten. 2007 war das Viertel hier noch nicht wirklich aktiviert. Diese Dynamik der letzten Jahren war so nicht abzusehen. Wir wussten, dass das Tapetenwerk erst einmal eine Enklave sein wird. Wir bauen hier eine relativ große Fabrikanlage aus, die ihren Teil zur Entwicklung und Beförderung des Viertels beiträgt, aber natürlich nicht alleine.

Als Architektin beantworte ich auf die Frage mit „Nein, es ist kein Zufall“. Es musste dieses Viertel sein, aufgrund der sehr intensive Durchmischung von Wohnen und Arbeiten. Diese Flächen, die Industriebrachen, sind einfach förderlich für Leute wie uns, für Kreativwirtschaftende. Kreative können mit diesen Räumen umgehen und arbeiten. Aus diesem Grund musste es genau dieses Viertel sein.

Kreative wollen kein eigenes Ghetto in der Größe von Kleinstädten.
Eingang zu einem Gebäude auf dem Tapentenwerk in Lindenau.
Auf dem Gelände befinden sich zahlreiche Künstlerateliers, Architektur- und Planungsbüros, Fotografen und Kommunikationsdesigner.
Blick auf das Haus A des Tapetenwerks Leipzig.
Haus C beherbergt die Ausstellungshalle des Tapetenwerks.
Blick über das Tapetenwerk in Richtung Leipzig-Plagwitz.
Von einer wunderbaren Terrasse überblickt man den Hof des Tapetenwerks.

Warum denkst du, dass ein Wohn- und Arbeitsgebiet wichtig ist für Kreative?
In der kreativen Tätigkeit vermischen sich oft Berufs- und Privatleben, Arbeiten und Wohnen. Gerade diese Verknüpfungen können sich positiv auswirken und solche Mischgebiete bieten ja auch noch ganz andere Strukturen, die man nutzen kann, wie Schulen oder Kindergärten. Ein reines Industriegebiet ist ja auch nicht das, was Kreative wollen. Sie wollen kein eigenes Ghetto in der Größe von Kleinstädten. Die Größe des Tapetenwerks halte ich für perfekt. Wir haben Kontakt mit jedem Einzelnen, kennen alle mit Namen und wir wissen, was der andere tut.

Wie definierst du Raum für dich?
Raum hat viele Definitionen. Ganz simpel gesagt, Raum ist ein umgrenzter Bereich von Luft, den man räumlich und baulich darstellen kann. Aber der Raumbegriff bedeutet auch: Ich brauche Raum für meine Arbeit, ich brauche Raum für meinen Geist und ich brauche Raum, um auch wirtschaftlich mein Leben gestalten zu können. Wenn ich mich nicht aus finanziellen Gründen in einen Raum zwängen muss, mich beschränken muss, dann bin ich bei dem was wir hier machen. Wir wollen Raum schaffen, „Luftraum“ anbieten für Geistiges, für Weiterentwicklung.

Die Norm, dass man eine Grundfläche von sechs Quadratmeter als Durchschnittswert für einen Arbeitsplatz ansetzt, die gibt es im Tapetenwerk nicht.
Blick in das Büro von rb architekten.
Ein Blick in die Arbeitsräume von Jana Reichenbach-Behnisch und Heiko Behnisch.
Detailaufnahme eines Buchregals im Büro von Jana Reichenbach-Behnisch.
Alte Heizkörper fügen sich perfekt in die behutsam sanierten Räume ein.

Was uns zu den Räumen im Tapetenwerk führt. Wie würdest Du Euren Ansatz beschreiben?
Die Norm, dass man eine Grundfläche von sechs Quadratmeter als Durchschnittswert für einen Arbeitsplatz ansetzt, die gibt es im Tapetenwerk nicht. Manche nehmen die vielleicht höheren Heizkosten von großen Räumen in Kauf, weil sie Raum benötigen um sich zu entfalten. Jeder Mensch braucht etwas anderes und dies ist ein Vorteil der Industriebrache. Wir haben große Räume, die wir ganz individuell aufteilen können. Es ist unheimlich spannend Arbeits- und Produktionsraum zu schaffen und zu sehen, wie unterschiedlich jeder Einzelne mit den Räumen umgeht.

Zahlen neue Mieter die gleichen Preise, wie die Mieter von 2007?
Nein. Das liegt allerdings nicht daran, dass wir Mieten erhöht haben. Zu Beginn konnten wir Räume vermieten, die wir fast vollständig ausgebaut und somit sofort nutzbar übernommen hatten. Wir hatten vergleichsweise geringe Investitionskosten und konnten dadurch eine Kaltmiete ansetzen, die teilweise unter drei Euro pro Quadratmeter lag. Bereits nach einem Jahr ging das allerdings nicht mehr.

Die Standards sind hier im Leipziger Westen immer noch sehr unterschiedlich. Alle Räume im Tapetenwerk sollten sicher, trocken und warm sein und einen stabilen Internetzugang haben. Es gibt hier in fast allen Räumen konventionelle Gasheizungen. Allerdings waren die Kosten für die Installation der Heizung nicht überall gleich hoch, in manchen Räumen konnten beispielsweise die ursprünglichen Fenster nicht mehr aufgearbeitet werden. Dadurch ergeben sich unterschiedliche Investitionskosten. Trotzdem haben wir noch einen Kaltmietpreis von maximal 4,50 Euro/m2. Die Durchschnittsmiete liegt aktuell bei 3,20 Euro/m2 kalt.

Gestapelte alte Heizkörper.
Alte Heizkörper werden erst dann entsorgt, wenn sie partout nicht mehr gerettet werden können. Bis dahin warten sie gemeinsam darauf, in einem der sanierten Räume eingesetzt zu werden.

Kannst Du etwas zur Finanzierung sagen? Ihr habt vermutlich nicht alle Investitionen mit Eigenmitteln stemmen können?
Wir mussten eine Weile suchen, um einen Finanzpartner zu finden, der unser Konzept einer niedrigschwelligen und schrittweisen Sanierung überhaupt versteht. Dieser will natürlich trotzdem genau wissen, was wir tun. Jetzt sind wir aber nicht so renditeorientiert, wie sich das der eine oder andere Finanzpartner vielleicht vorstellt. Für uns zählt auch das Ideelle. Trotzdem müssen wir auch einen finanziellen Überschuss erzielen, denn wir brauchen die Mittel für die kostenintensivere Sanierung der letzten kleinen Gebäude und schließlich auch für Reparaturrücklagen. Wir brauchten also jemanden, der mit diesem Konzept mitgeht und wurden mit der Leipziger Sparkasse schließlich auch fündig.

Man stellt sich manchmal die Frage, warum man sich eigentlich so viel Verantwortung auf die Schultern lädt, wenn man nicht renditeorientiert arbeiten will.
Aussenaufnahme eines Gebäudes auf dem Tapetenwerk Leipzig.
Detailaufnahme eines Fensters im Tapetenwerk.
Portraitaufnahme von Jana Reichenbach-Behnisch.

Gab es Dinge, die ihr euch im Vorfeld leichter vorgestellt habt?
Eigentlich würde ich antworten „Nein, die gab es nicht“. Es war genauso schwierig, wie wir uns das von Anfang an vorgestellt haben. Man stellt sich manchmal aber schon die Frage warum man sich eigentlich so viel Verantwortung auf die Schultern lädt, wenn man nicht renditeorientiert arbeitet. Warum wird man eigentlich Eigentümer eines solchen Grundstücks?

War das eine Art romantische Vorstellung, hier ein Netzwerk der kurzen Wege zu entwickeln?
War es romantisch? Wir haben immer gesagt, es war egoistisch. Wir wollten alle Leute, mit denen wir sowieso zusammenarbeiten auf einen Raum zusammenpacken. Designer, Landschaftsarchitekten, Stadtplaner, Architekten, Fotografen, Künstler. Alle, mit denen wir immer schon zu tun hatten. Es hat sich herausgestellt, dass dieser persönliche Kontakt durch unsere modernen Kommunikationsmedien einfach nicht zu ersetzen ist. Auf dem Tapetenwerk geht man sehr gerne mal auf den Hof oder in die Kantine und bespricht seine Projekte mit anderen. Das ist das Angenehme, was man dann als romantisch oder idealistisch bezeichnen kann.

War von Anfang an klar, dass ihr euer Architekturbüro hier haben werdet?
Ja, ich habe die Projektleitung von hier aus gemacht und anders hätte das auch gar nicht funktioniert. Planung und Bauleitung und Kulturmanagement. Nur die Hausverwaltung ist extern.

Das Schöne an diesem Projekt ist, dass es nie abgearbeitet sein wird. Das hier ist ein Lebensprojekt.
Pflanzen im Treppenhaus eines Gebäudes im Tapetenwerk Leipzig.
Das Winterdomizil von zahlreichen Pflanzen. Der Fliegenpilz hätte den niedrigen Temperaturen aber vermutlich getrotzt.
Detailaufnahme eines handgefertigten Fliegenpilzes.
Beschriftung im Tapetenwerk.

Wenn irgendwann einmal alles ausgebaut ist und es nur noch um das Verwalten geht, zieht ihr dann weiter, weil euch die Herausforderung fehlt?
Das Schöne an diesem Projekt ist, dass es nie abgearbeitet sein wird. Das hier ist ein Lebensprojekt. Es ist unglaublich wandlungsfähig und wir können mit den Räumen immer wieder neu umgehen. Auch bremst einen der niedrigschwellige Ansatz manchmal aus und so können wir nicht alles bis zur Perfektion ausbauen. Das macht ja auch den Charme aus, dass man manche Sachen in Ruhe lässt und nicht übersaniert.

Aussenaufnahme eines Gebäudes im Tapenwerk.
Detailaufnahme einer alten Strassenlampe.
Fassade eines Gebäudes im Tapenwerk Leipzig.

Die Entwicklung des Viertels in den letzten Jahren, bringt die euch zum Strahlen?
Die Ecke hier gehörte ja 2007 nicht unbedingt zu den Vorzeigevierteln. Die Adresse ist für die Kunden unserer Mieter auch nicht immer einfach. Wir wussten, dass wir das Tapetenwerk entsprechend kommunizieren müssen. Wir sitzen zwar in der Lützner Straße, aber im Tapetenwerk. Das Potential war damals bereits vorhanden, aber es war am Anfang nicht abzusehen, dass es so rasant gehen wird.

Die Mischung war sehr spannend und für viele war es ein interessantes Stadtviertel, wenn auch aus unterschiedlichen Beweggründen. Es brauchte mehrere Leuchttürme, um das Viertel zu aktivieren. Zum Beispiel waren für mich die Wächterhäuser immer ein sehr wichtiges Projekt. Diese dynamische Entwicklung des Leipziger Westens, mit der Größe einer Kleinstadt, lässt sich nicht beliebig auf andere Städte oder Viertel übertragen. Da spielen so viele interessante Faktoren eine Rolle. Ich glaube schon, dass wir hier eine sehr außergewöhnliche Entwicklung erleben.

Wie teilst du deine Zeit ein, zwischen deinem Beruf als Architektin und dem Management des Tapetenwerks?
Aktuell vermengt es sich sehr stark, weil wir gerade an einem Projekt arbeiten, bei dem wir das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden können. Wir haben das Architekturbüro stark mit dem Tapetenwerk verknüpft und analysieren gerade dessen betriebswirtschaftliche und bautechnische Entwicklung. Wir werten baurechtliche Fragen aus, die Verteilung der Baukosten, die Kosten der Instandsetzung, die Mietpreisstaffelung. Die Dinge lassen sich im Moment also gar nicht mehr voneinander trennen. Das Management für unsere Ausstellungshalle ausgenommen, fließen alle Bereiche ineinander.

Aussenaufnahme eines Gebäudes im Tapenwerk Leipzig.
Beleuchteter Weihnachtsstern im Tapetenwerk Leipzig.

Was gibt euch das Umfeld, dass ihr euch hier geschaffen habt?
Sehr viel positive Energie. Das war ja auch das große Ziel. Durch die kurzen Wege entsteht eine große Aufwandserleichterung. Man geht schnell zwei Räume weiter, wenn man ein Projekt von Angesicht zu Angesicht besprechen möchte. Man hat mit sehr angenehmen Menschen auf engsten Raum zu tun. Wir finden hier Gleichgesinnte, die grundsätzlich verstehen, womit man sich beschäftigt, die gleiche Interessen und ähnliche Lebenskonzepte haben wie wir selbst.

Info

Jana Reichenbach-Behnisch studierte an der Technischen Universität in Dresden in der Fachrichtung Architektur und arbeitet seit 2004 als freie Architektin.

Credits