Alles was wir verkaufen muss Sinn machen.
Julia Wolff & Thilo Egenberger
Thilo Egenberger ist gelernter Einzelhandelskaufmann und kam kurz nach dem Mauerfall von Augsburg nach Leipzig. Julia Wolff hat in Hamburg Jura studiert und kam 2000 für ihr Referendariat nach Leipzig. Zusammen gründeten sie 2007 das Unternehmen »Egenberger Lebensmittel«.
Ihr erstes Produkt war das Fattigauer Bier und obwohl ihre Firma von Beginn an »Egenberger Lebensmittel« hieß, vergingen noch einige Jahre bis das erste Lebensmittel verkauft wurde.
Thilo, du bist 1990 auf Besuch nach Leipzig gekommen und dann geblieben. Weshalb?
Ich bin in der Gegend von Augsburg aufgewachsen und hatte keinerlei Bezug zu Leipzig. Mit einem Freund bin ich Anfang 1990 hierher gefahren und fand die Stadt schön. Ich hatte nicht geplant hier zu bleiben, aber das hat sich dann so ergeben. Ich habe schnell Kontakt gefunden und konnte in einem Wohnheim übernachten. Ich war an zwei Wochenenden da und bin schließlich Ostern 1990 hierhergezogen und habe mir eine Wohnung genommen.
Genommen?
Auf dem legalen Weg ging das nicht. Du brauchtest einen Wohnberechtigungsschein um eine Wohnung zu mieten und das war für Zugezogene nicht vorgesehen. Das Haus in der Riemannstraße war noch weitestgehend belebt und sollte »leergewohnt« werden. Das war eine Vokabel, die kannte ich davor nicht.
Wir sind dann einfach eingezogen. Der Nachbar hat uns eine Kontonummer gegeben, wir haben uns bei der Polizei gemeldet und das ging dann neun Jahre gut bis das Haus saniert wurde.
Was hast du getan als Du nach Leipzig kamst?
Ich habe mein Unternehmen gegründet und mich vom ersten Tag an selbständig gemacht.
Was war deine erste Unternehmung?
Das war die Algro von 1990 bis 1999, ein Großhandel, so wie heute auch. Aber sehr konträr zu dem, was wir heute machen. Wir haben Tankstellen beliefert mit allem, was man nicht essen kann. Sehr viel Autozubehör, Spielwaren, Drogeriewaren. Also alles, was man nicht unbedingt zum Leben braucht.
Nur hier in Leipzig?
Nein, wir waren marktführend in den neuen Bundesländern und unser Vertriebsgebiet erstreckte sich bis nach Hamburg.
Das klingt groß.
Das war es auch. Wir hatten etwa 15 große LKWs und zur Blütezeit, um 1996 herum, knapp über 40 Mitarbeiter. Das hat mir eine Zeit lang sehr viel Spaß gemacht. Heute habe ich mit den Sachen, die wir damals verkauften, nichts mehr am Hut. Ich habe nicht einmal mehr ein Auto.
Was hast du danach gemacht?
Thilo: Ich wollte die Dinge etwas kleiner angehen und schon damals hatte ich einen Lebensmittelhandel im Kopf. Julia und ich haben uns 2005 kennengelernt und 2007 haben wir mit Egenberger Lebensmittel angefangen. Wenn man es so will, mache ich nichts anderes als damals, nur mit anderem Inhalt als früher.
Julia: Und wir setzen uns bewusste Grenzen, wie die regionale Beschränkung.
Thilo: Alles was wir verkaufen muss heute mehr Sinn machen.
Julia, wie bist du nach Leipzig gekommen?
Ich bin 2000 für das Referendariat nach Leipzig gekommen. Meine Jura-Kollegen konnten das damals nicht wirklich verstehen, auch weil das Risiko bestand, dass man sich hier den interviewnschnitt verdirbt. Mir aber lag der Osten schon immer nah und ich wollte das Referendariat nutzen, ihn besser kennenzulernen. Ich bin in Braunschweig aufgewachsen. Die Grenze war nah, es gab Ostfernsehen. Am 9. November sind wir auch an die Grenze gefahren und später in die Ostclubs gegangen. Viele meiner damaligen Freunde sind im Osten oder in Berlin gelandet.
Für mich ist das Besondere an Leipzig der Raum, den wir haben. Der Freiraum
Was hat euch an Leipzig besonders gefallen?
Thilo: Für mich ist das Besondere an Leipzig der Raum, den wir haben. Der Freiraum. Ich hatte immer wieder Angst davor, dass uns dieser Freiraum verloren geht. Diese Furcht wurde immer mal wieder bestätigt, aber es gibt trotzdem noch diese Orte. Als wir 2007 hier angefangen haben, sah man kaum einen Menschen auf der Karl-Heine-Straße. 2004 hatte Christina Weiß gerade erst damit begonnen, die Brachen zu den Nachbarschaftsgärten zusammenzuführen. Die Entwicklung seitdem ist unglaublich.
Ihr habt 2007 mit dem Fattigauer Bier angefangen, wie kam das?
Thilo: Das kam über den Kontakt zum Brauer, Herrn Stelzer Senior. Bis dahin gab es Biobiere ausschließlich in Bioläden. Wir waren hier die ersten, die ein Biobier auch in die Kneipen und in die Spätis brachten. Das Fattigauer-Etikett hat dann Thomas Matthaeus Müller gestaltet. Er ist ein guter Freund, den ich jetzt schon über zwanzig Jahre kenne. Er hat auch viele Jahre die Plakate für die 24-Stunden Ausstellungen gestaltet.
War er nicht auch einer der Initiatoren der 24 Stunden Ausstellungen?
Thilo: Er organisierte 1993 die erste 24 Stunden Ausstellung zusammen mit Harald Alff und Andreas Tauber. Einer von beiden musste damals aus seiner Wohnung ausziehen und aus der Not heraus entstand die Idee zur ersten 24 Stunden Ausstellung »Gefährliche Habenichtse«. Ich war mit ihnen befreundet und habe dann 1996 beschlossen, diese Idee wieder aufzunehmen.
Ich habe nach Örtlichkeiten gesucht, die unverbraucht waren oder in Vergessenheit geraten sind. Hier im Westen waren wir unter anderem 1999 in der Spinnerei und später im heutigen »Noch besser Leben« und in der Josephstraße. 2007 gab es eine Ausstellung im Westwerk, dessen damaliger Pächter Falk Röhner war. Er hatte die Kraft und Verrücktheit, das Westwerk anzupacken und wollte mit der Ausstellung das Gelände für alle Menschen sichtbar machen. Insgesamt waren über 140 Künstler beteiligt. Eine gigantische Ausstellung in allen zugänglichen Räumen, von denen es viele heute so gar nicht mehr gibt. Ich glaube wir hatten 5000 Besucher und einige Leute haben sich anschließend hier einen Raum angemietet.
Es war mir immer sehr wichtig niemanden auszuschließen, damit dick und dünn genauso dabei waren wie arm und reich
Hast du auch die Künstlerinnen und Künstler ausgesucht, die mitgemacht haben?
Thilo: Die Ausstellung war mein kultureller Beitrag und ich habe die Leute natürlich mit ausgesucht. Es war mir immer sehr wichtig niemanden auszuschließen. Möglichst breite Teile der Künstler und der Bevölkerung mitzunehmen, damit dick und dünn genauso dabei waren wie arm und reich. Wenn ich ein solches Projekt noch einmal beginnen sollte, dann will ich die Kraft haben, die Menschen noch mehr zu involvieren, noch mehr teilnehmen zu lassen. Ich denke seit Jahren darüber nach, aber das braucht einfach noch mehr Zeit. Als Julia und ich unser Unternehmen gründeten und unsere Tochter geboren wurde, hat mir die Zeit gefehlt, mich weiter darum zu kümmern. Eine Ausstellung zu organisieren ist sehr aufwendig. Zeitlich und finanziell. Wenn es dumm lief, hat es mich viel Geld gekostet.
Wäre Egenberger Lebensmittel auch in einer anderen Stadt möglich?
Julia: Das wäre sicher schwieriger. Wir hatten hier sehr viel Freiheit und konnten mit unseren begrenzten Mitteln etwas auf den Weg bringen. In Leipzig hatte man eine gute Lebensqualität, ohne besonders viel Geld haben zu müssen.
Eure Etiketten sind auch ganz und gar von Leipzig geprägt. Habt ihr jemals gezögert bei den Entwürfen? Zum Beispiel einen Hund aufs Bier zu bringen?
Julia: Das Fattigauer Bier war für mich das Lehrstück. Ich mochte den Hund. Er gefiel mir, aber vom Kopf her fragte ich mich warum ein Hund? Ich hatte wohl einen Bezug zu dem, was drin ist, erwartet oder zur Brauerei Stelzer, die das Bier gemacht hat. Thilo ist extra mit Matthaeus zur Brauerei gefahren, damit er die Stimmung aufnehmen kann …
Thilo: … und im Zug hat er mir dann schon die fertigen Etiketten präsentiert. Der Hund hat aber nicht geschadet!
Julia: Im Gegenteil. Und ich habe gelernt, mich bei den künstlerischen Etiketten erstmal frei von den rationalen Erwägungen zu machen und auf den Bauch zu hören.
Ihr denkt auch immer die Verpackung mit?
Julia: Ja, immer. Dass sie schön ist und dass es möglichst wenig Abfall gibt.
Welche zukünftigen Pläne habt ihr?
Thilo: Wir wachsen aus dem Westwerk heraus. Es wäre unvernünftig, wenn wir hier noch mehr Flächen bekommen würden. Wir sollten nicht noch mehr Raum einnehmen. Ich kann auch den Eigentümer nicht einschätzen und hier werden bald schon große Flächen bebaut. Den größten Teil unserer Produkte können wir ohnehin nicht hier lagern.
Julia: Wir würden auch gerne Produkte vor Ort bei uns produzieren. Das können wir aber erst machen, wenn wir mehr Platz und auch einen Ort haben, an dem wir bleiben können.
Ist das dann noch hier?
Thilo: Wir wollen beide dort arbeiten wo Leben ist und aktuell ist es so, dass wir am liebsten im Leipziger Westen bleiben wollen. Wir wollen nicht ins Gewerbegebiet. Die Idee ist, neben Lager und Verwaltung eine Gemeinschaftsküche und andere Produktionsstätten zu haben und Menschen aus dem Lebensmittelhandwerk anzuziehen wie beispielsweise Christopher mit seinem Honig. Das sind ja oft nur kleine Betriebe, die nicht viel Platz brauchen. In Leipzig gibt es Automobilcluster, Logistikcluster, Galeriecluster, also warum nicht auch Lebensmittel? Wir müssen ja nicht die ganze Welt versorgen sondern nur einen kleinen Teil in Leipzig. Man kann kleinteilig hier vor Ort arbeiten, kann zu Fuß oder mit dem Fahrrad hin, muss nicht ins Industriegebiet. Und du machst sinnstiftende Arbeit. Daran glauben wir.
Info
Thilo Egenberger ist gelernter Einzelhandelskaufmann und seit Anfang der neunziger Jahren in Leipzig. Julia Wolff hat Jura studiert und lebt seit Anfang 2000 in Leipzig.Credits
- Das Interview führte Petra Mattheis
- Fotos von Regentaucher