Ralf Wagener unterstützt den Zirkus Upsala

Der einzige Zirkus der Welt für Rabauken - Единственный цирк вмире для хулиганов.

Ralf Wagener

Ursprünglich Ökonom, engagiert sich Ralf Wagener seit etwa vier Jahren für den Kinder- und Jugendzirkus Upsala aus St. Petersburg, Russland und ist seitdem auch Mitglied des deutschen Vereins Upsala - Interkultureller Zirkusaustausch für Kinder und Jugendliche e. V.

Seit 2015 organisiert und begleitet er einmal im Jahr Auftritte und Workshops des Zirkusprojektes vorrangig im Osten Deutschlands, seit 2018 auch in Zeitz. Mit Ralf starten wir eine neue Interviewreihe, die sich nicht mehr ausschließlich nur mit dem Leipziger Westen beschäftigt.

Was ist der Zirkus Upsala? Beschreibst du uns das ein bisschen?
Es ist in erster Linie ein Kunst- und Theaterprojekt mit jungen Laien. Mit einer starken, sozialen Komponente. Das Projekt startete 2000 in Sankt Petersburg. Astrid Schorn, eine deutsche Sozialpädagogin, fuhr damals nach St. Petersburg und holte gemeinsam mit der Russin Larisa Afanaseva Jugendliche mit Zirkustricks buchstäblich von der Straße, weil dies eine Sprache war, auf die die Jugendlichen reagierten. Das war die Ursprungsidee. Aus dem, was ursprünglich als sozialesProjekt für Jugendliche aus sozialen Risikogruppen und für Kinder mit Down-Syndrom angelegt war, hat sich mittlerweile ein künstlerisch anspruchsvolles Zirkus- und Theaterprojekt entwickelt, das reihenweise nationale und internationale Preise abräumt.

Plakat für das Zeitzer Rebells for Peace Projekt 2019. Gestaltet von Daria Zorkina, Berlin.
Plakat für das Zeitzer Rebells for Peace Projekt 2019. Gestaltet von Daria Zorkina, Berlin.
Plakat für das Zeitzer Rebells for Peace Projekt 2019. Gestaltet von Daria Zorkina, Berlin.
Plakatserie für das Zeitzer Rebells for Peace Projekt 2019.
Plakat für das Zeitzer Rebells for Peace Projekt 2019. Gestaltet von Daria Zorkina, Berlin.
Gestaltet von Daria Zorkina, Berlin.

Wie kommt der Kontakt zwischen dem Projekt und den Jugendlichen zustande?
Ganz am Anfang haben Astrid und Larissa die Jugendlichen direkt auf der Straße angesprochen. Das hat sich inzwischen professionalisiert. Heute sind 80 bis 90 Kinder ständig dabei, die fast jeden Tag nach der Schule dort hingehen. Es gibt jetzt eine feste Zirkus-Location in St. Petersburg, mit Zirkuszelt, Proberäumen, Büro und Umkleiden. Und von diesen etwa 90 Kindern, kommen etwa 60 aus sozialen Risikogruppen und etwa 30 haben Down-Syndrom oder Autismus, die mit einem eigenen Teil-projekt Pakitan betreut werden. Die meisten der Stücke im Repertoire von Upsala sind inklusive Stücke, bei denen die Pakitan-Kinder eine wichtige Rolle spielen.

Die Kinder bekommen durch die Arbeit im Zirkus und durch die Auftritte Stolz und Selbstvertrauen, lernen Disziplin und Teamgeist.

Hören die Kinder vom Zirkus und kommen dann auch selbst?
Aber in erster Linie geht man an sogenannte Besserungsschulen ( коррекционные школы), wo Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten untergebracht sind, Kinder, die schon einmal mit dem Gesetz in Konflikt kamen, unter Umständen auch Drogen konsumierten.

Andere Kinder wohnen in Heimen und dann ist es abhängig vom jeweiligen Direktor des Heimes, ob die Kinder eine Chance bekommen, im Zirkus mitzumachen.

Die Kinder bekommen durch die Arbeit im Zirkus und durch die Auftritte Stolz und Selbstvertrauen, lernen Disziplin und Teamgeist. Ihnen wird gezeigt, dass sie sich nicht verbiegen sollen und müssen. Dass es darum geht zu lernen, zu zeigen, was in ihnen steckt. Und das ist für eine – sagen wir mal Besserungsschule – nicht immer das ideale »Material«. Die wollen oft eher gefügige Kinder, also alles andere als das, was der Zirkus will.

Deswegen nennt sich der Zirkus selbst, der einzige Zirkus der Welt für Rabauken. Rabauken heißt im Russischen Хулиганы (Khuligany), das kommt aus dem Englischen von Hooligan, hat aber in Russland eine ganz andere Bedeutung – eben eher so etwas wie Rabauke, Nichtsnutz, Rumtreiber.

Und aus der Arbeit mit diesen Rabauken entwickeln sich dann so schöne Aufführungen?
Die künstlerischen Projekte des Zirkus sind das eigentliche Ziel. Dabei haben die Kinder die Chance, sich über einen längeren Zeitraum auszuprobieren, zu zeigen, was in ihnen steckt. Die kommen zum Teil mit acht, neun Jahren zum ersten Mal in den Zirkus und bleiben mitunter bis sie 18 sind und dann ihren eigenen Weg gehen müssen. Einige bleiben als freiberufliche Mitarbeiter und nehmen am Programm teil, einige studieren und machen etwas ganz anderes, einzelne fallen manchmal auch leider wieder in ihr Milieu zurück, das gibt es auch.

Diese soziale Arbeit ist das, wo der Zirkus seinen Ursprung hat. Es gibt in Russland viele Projekte und Vereine, die sich die soziale Arbeit auf die Fahnen geschrieben haben. Der Unterschied bei Upsala ist, dass hier wirklich ein hoher künstlerischer Anspruch angelegt wird. Larissa ist ausgebildete Choreografin und Theaterregisseurin. Es ist ihr Verdienst, dass sich das Projekt mit seiner künstlerischen Qualität von anderen sozialen Projekten unterscheidet, und so nicht »nur« eine »Wohltätigkeitsveranstaltung« ist. Die spielen in der vorderen Liga der Theater- und Zirkuswelt mit.

Generell hat Zirkus in Russland (wie z.B. auch in Frankreich oder China) einen anderen Stellenwert als in Deutschland, dort ist es eine eigene Kunstform. Hier ist es ja mehr der Bär, der durch die Manege geführt wird. Dort gibt es das als Studium und hat einen ganz anderen Anspruch.

Die Qualität sieht man auch daran, dass Upsala viele großen Preise abgeräumt hat. Unter anderem die goldene Maske, den wichtigsten Bühnenpreis in Russland, für das inklusive Stück »Ich bin Bashō« über den japanischen Dichter des 17. Jahrhunderts Matsuo Bashō.

Mehrere Preise hat auch eines der jüngsten Stücke »Pirosmanis Träume« über den großen naiven georgischen Maler, Niko Pirosmani, erhalten.

All dies liegt an ihren anspruchsvollen Stücken, der immer interessanten Musik, der besonderen Choreographie und dem, was Upsala aus den kleinen Artisten herausholt.

Der Zirkus ist sehr vorsichtig mit seinem Profil. Sie arbeiten fast nur mit meist russischen Trainern und Künstlern, die sie gut kennen. Bei den künftigen Residenzen und Workshops in Deutschland würde ich persönlich gerne etwas mehr lokalen Content reinbringen, aber das ist nicht ganz einfach, weil man natürlich erst einmal miteinander Erfahrungen sammeln muss um sicher zu sein, dass die »Chemie« und der Anspruch übereinstimmen.

Werden die Stücke mit den Kindern entwickelt?
Es gibt ein paar kreative Köpfe, die im Zentrum stehen, aber die Kinder sind stark in die Stückentwicklung eingebunden.

Eine jonglierende Person im Göthepark in Zeitz
Person auf einem Trampolin in Zeitz
Eine Gruppe von Musikern auf dem Altmarkt in Zeitz
Der Goethepark war der Startpunkt der Kinderwagenparade. Die Kids des Zirkusworkshops begannen an einem langen Tisch sitzend …
Akrobatik auf dem Altmarkt in Zeitz
… und jede/r gab anschließend ein kleines Solo. Die Hälfte der Kinder hatten zwei Wochen Zeit, um sich dafür vorzubereiten.

War ein Stück dein erster Kontakt zum Zirkus?
Fast, ich habe mal ein paar Jahre beruflich in St. Petersburg gearbeitet und da gibt es immer alle möglichen Treffen, bei denen die Expatriates zusammenkommen, die Deutschen und alle anderen Auslandsvertreter. Astrid Schorn ist auf diesen Veranstaltungen damals immer aufgetaucht und hat Werbung für den Zirkus gemacht.

Bei der ersten Vorführung, die ich gesehen habe, hatten sie noch kein eigenes Zelt, sondern spielten im Hof einer Besserungsschule. Das war auch schon toll und seit dem ist mir das Projekt nicht mehr aus dem Kopf gegangen.

Und wie kam es, dass du den Zirkus nach Leipzig und nach Zeitz holtest?
Als ich mit meiner Familie zurück nach Deutschland kam, spielte der Zirkus in der Stadt, in der wir lebten. Und ich habe dort wieder festgestellt, wie nah mir das ist. Wir haben dann zu unserer Hochzeit auch die Gäste gebeten, für dieses Projekt zu spenden.

Dann zogen wir nach Leipzig und meine Töchter gingen hier auf die Nachbarschaftsschule. Ich dachte, dass die Nasch und der Zirkus irgendwie zusammen gehören. So habe ich 2015 den Zirkus zum ersten Mal nach Leipzig eingeladen. Damals habe ich im Leipziger Westen alle möglichen Spielstätten abgeklappert, das TDJW, die Schaubühne, den Westflügel, nichts davon hat geklappt und so sind wir in der Aula der Nasch gelandet, samt einem Zirkusfest auf dem Hof. Das war der Beginn einer langen Freundschaft.

Trommel- und Gesangsaufführung auf dem Altmarkt in Zeitz.
Die Trommel- und Gesangsaufführung war Teil eines weiteren Workshops. Das Spektakel wurde als erstes auf dem Altmarkt aufgeführt, anschließend bewegte sich die Parade weiter durch die Stadt.

Und letztes Jahr, 2018, hast du sie zum ersten Mal nach Zeitz gebracht?
Den Kontakt hatten wir in den Jahren seit 2015 immer mehr ausgebaut, 2016 kam das UT Connewitz als professionelle Spielstätte mit ins Boot. - Die Leute vom UT sind einfach immer super hilfsbereit und nett und die Location passt zu uns.

2016 hatte der Zirkus eine Lücke zwischen zwei Auftritten in Berlin Ich habe sie dann nach Garz, ein 120-Seelen-Dorf im nördlichen Sachsen-Anhalt an der Havel, geholt. Wir haben da ein Wochenendhäuschen. Dort hat sich zu unserer Vorstellung buchstäblich das ganze Dorf und Umgegend versammelt. Der ganze Zirkus hat sich auch gleich in das Dörfchen verliebt – und umgekehrt. 2017 haben wir dann in der nahe gelegenen Kreisstadt Havelberg in der Stadtkirche einen Auftritt organisiert.

Der Zirkus geht seit Jahren mit Stücken aus dem Repertoire auf Tourneen. Wir wollten aber hier auch einmal etwas Neues, Interaktives machen, uns mit aktuellen Problemen auseinandersetzen. Und so sind Larissa und ich, eher zufällig, Ende 2017 nach Zeitz gekommen.

Warum Zeitz?
Meine Frau kommt aus Zeitz und in uns gab es schon länger die Idee, mal was in Zeitz zu machen. Ich glaube es lag auch daran, dass 2017 Leipzig gefühlt kulturell schon ein wenig satt war. Man rennt ja immer vor der Karawane weg, um Freiräume zu finden. Da lag der Weg nach Zeitz nahe. Larissa fragte mich damals, ob es in Zeitz viele Probleme gäbe und die Stadt ein interkulturelles Projekt gebrauchen könnte. Und daraus haben wir dann Rebels for Peace entwickelt.

Viele Besucher begleiteten die Parade der Kinder des Zirkus Upsala durch die Zeitzer Innenstadt
Viele Besucher begleiteten die Parade der Kinder des Zirkus Upsala durch die Zeitzer Innenstadt

Wie habt ihr dann die Workshops und Aufführungen mit dem Zirkus entwickelt?
Modell dafür war eine Residenz des Zirkus in Georgien. Das fand auch in einem kleinen Ort statt. Wir haben dort mit einheimischen Kindern geprobt und das Ergebnis dann in dem Dorf und in der Hauptstadt Tiflis aufgeführt. Das war eine wunderbare Sache. Aus den Eindrücken der Residenz wurde später das Stück Pirosmanis Träume entwickelt.

Als ich dann zum ersten Mal auf die Stadt Zeitz zuging, war ich sehr erstaunt, dass wir mit offenen Armen empfangen wurden. Die Leiterin des Sachbereichs Jugend und die Migrationsbeauftragte waren unsere wichtigsten Ansprechpartner und sind gleich aufgesprungen. Und auch die Aktivisten vom Kloster Posa haben uns 2018 die Unterkunft auf dem Posaer Weinberg und 2019 die Bibliothek, das Kunsthaus, zur Verfügung gestellt.

War es in Zeitz einfach Kinder zu finden, die mitmachen wollen?
Das war zuerst meine größte Sorge. Ich bin ja totaler Seiteneinsteiger für solche Projekte und mir sagten immer alle, man bekäme nur schwer die Teilnehmer zusammen. Aber das war in Zeitz toll, die Migrationsbeauftragte kennt jedes Kind mit Migrationshintergrund in Zeitz mit Vornahmen und über das Jugendamt und die Schulen kamen wir an weitere TeilnehmerInnen.

Wieviele Kinder mit Migrationshintergrund gibt es denn in Zeitz?
Ich glaube, es sind um die 500 Jugendliche bis 18 Jahre. Insgesamt gibt es in Zeitz etwa 1500 Nicht-EU-Migranten in Zeitz. Und diese Kids sind super-interessiert und motiviert. Also, Kinder mit Migrationshintergrund zu finden war überhaupt nie ein Problem, das war dieses wie letztes Jahr auch die stärkste Gruppe.

Bei den Kinder mit deutschen Wurzeln hatten wir den Anspruch, dass wir auch Kinder mit erschwerten Startbedingungen einbeziehen. Da hat das Jugendamt mitgearbeitet. Der Hauptförderer des letzten Jahres ist das Projekt Demokratie leben und die arbeiten im Burgenlandkreis eng mit dem Jugendamt zusammen. Das hat sehr geholfen.

Wieviele Kinder aus Zeitz haben mitgemacht?
Dieses Jahr waren es 24 Zeitzer Kinder (davon 16 mit Wurzeln außerhalb von Deutschland), 17 Kinder aus Russland, eines aus Frankreich. Unter den Kindern mit Migrationshintergrund waren viele Kinder aus Irak, Syrien und Afghanistan und auch ein paar gebürtige Deutsche, denen Eltern aus Vietnam kamen.

Handgezeichneter Ablaufplan der Parade im Gothepark von Zeitz.
Die von den Kindern gestaltete Karte des Ablaufplans der großen Parade durch Zeitz zeigt die einzelnen Stationen des Spielplans.
Ein Kinderwagen mit skulpturalem Aufbau im Gothepark in Zeitz
Da Zeitz bekannt ist für die Herstellung von Kinderwagen waren diese in der Planungsphase ein wichtiger Anhaltspunkt für das Projekt.

Und das Kind aus Frankreich?
Das war das Kind einer der Trainerinnen.

Und die russischen Kinder sind Teil des St. Petersburgers Upsala Projekt?
Ja, das sind die, die schon geübter sind - kleine Profis. Es ist wichtig, dass man einen Teil der Stammbelegschaft hat, die schon eine Weile dabei sind.

Es geht ja auch um den Austausch? Die Länder Irak, Syrien, Pakistan und Russland haben im Miteinander schon eine politische Wucht.
Ja, wenn man die Länder aufzählt, dann hat jedes Land mit fast jedem anderen irgendeine politische Auseinandersetzung, geschichtlich oder aktuell zu bewältigen.

Ist das ein Thema unter den Jugendlichen?
Das ist wirklich erstaunlich, dass die Ethnie oder die Herkunft keine große Rolle gespielt haben. Ich kann mich nicht entsinnen, dass es deshalb einen Konflikt gegeben hätte. Im letzten Jahr gab es eine interessante Situation: Wir hatten einen Afghanischen Vater gefragt, ob das okay ist, wenn sein Kind Teil des Projekts ist und damit auch mit Russen zusammen ist. Russland und Afghanistan haben eine schwierige Geschichte mit einander. Und er sagte, dass er selbst damit schon ein Problem hätte, aber dass die Kinder miteinander vielleicht etwas hinbekommen, was die Väter nicht schaffen. Für mich kommt hier kommt als Kurzfassung rüber, was die Idee von Rebels for Peace ist.

Wie werden die Eltern mit diesem Projekt einbezogen?
Die Eltern müssen alle zustimmen, dass die Kinder teilnehmen dürfen, dass sie auftreten dürfen und dass die Auftritte und Fotos auch öffentlich gemacht werden. Dann gab es etwas sehr schönes dieses Jahr. Gleich zu Beginn haben wir das Stück gezeigt, dass aus der letztjährigen Residenz entwickelt wurde, das Stück Domino - zweimal in Leipzig und einmal in Zeitz.

Und am zweiten Leipziger Abend, als wir zurück nach Zeitz kamen, haben die Eltern der Zeitzer Kinder mit Migrationshintergrund das Abendbrot für alle bereitet. Das war wie ein kleiner Festempfang. Die haben aufgefahren und uns bewirtet, wirklich unglaublich, wie sich die Eltern engagieren. Die waren auch bei jeder Veranstaltung dabei und bildeten so ein Kern-Publikum. Bei den deutschen Kindern war das leider nur teilweise der Fall.

Wie lange ging das Projekt?
Die Workshops selbst gingen nur über zwei Wochen. Die Woche davor war für die Aufführungen von Domino und die Vorbereitung der Workshops.

Auch in der Scharrenstraße hielt die Parade inne und führte ein Stück in einem der (noch) leerstehenden Gebäude auf.
Auch in der Scharrenstraße hielt die Parade inne und führte ein Stück in einem der (noch) leerstehenden Gebäude auf.

Das heißt, die Kinder hatten zwei Wochen Zeit, sich die hier abgebildete Parade auszudenken und einzustudieren?
Ja, genau.

Und in diesen zwei Wochen, wie lange trefft ihr euch, wie lange wird geübt?
Es waren ja Ferien, wir haben uns jeden Tag gegen 10 Uhr getroffen und dann ging es bis Abends gegen 18 Uhr. Manchmal war auch schon etwas eher die Luft raus. Abends gab es dann noch zwei offene Workshops für alle interessierten Zeitzer.

Steigen viele aus? Weil es ihnen zu viel ist?
Letztes Mal ja, vor allem bei den Kindern mit deutschem Hintergrund. Dieses Jahr sind aber sogar welche dazugekommen, unterwegs. Das war auch so angelegt, wir hatten dieses Jahr gleich zu Beginn eine Veranstaltung im Goethepark in Zeitz und da war eine Gruppe von Kids, mit vietnamesischen Wurzeln und einer aus Syrien. Und die haben dann den Rest des Workshops mitgemacht. Drei irakische Kinder kamen aus dem Haus, in dem wir campierten, die haben sich auch angeschlossen.

Das heißt, da sind auch Kinder dabei, die unter Umständen nächstes Jahr schon nicht mehr in Deutschland sind?
Ja, das kann passieren, bei einigen ist die Bleibesituation ungeklärt. Es gibt Familien dabei, bei denen droht noch das Damoklesschwert der Abschiebung. Die meisten haben aber schon ein mehrjähriges Bleiberecht.

Und die Verständigung? Mischen sich die Sprachen? Wie, in welchen Sprachen kommuniziert ihr miteinander?
Die Sprachen mischen sich. Und das klappt interessanterweise. Viele Sachen laufen ja nonverbal, gerade im Bereich Zirkus oder Trommeln. Der Zirkustrainer ist Russe, der redet so schnell, dass selbst ich ihn kaum verstehe und ich spreche seit über 40 Jahren Russisch. Aber der hat sich schon mit allen möglichen Nationalitäten ohne Worte verständigt, das klappt.

Oder die kurdischen Kids, die können oft kein Arabisch. Im letzten Jahr haben wir dann jemanden gefunden, der Kurdisch erstmal ins Deutsche übersetzte und wir dann ins Russische, weil einige Trainer nur Russisch oder Englisch können. Viele der Kinder können aber schon in kurzer Zeit ziemlich gut deutsch sprechen. Es gab eine neue Familie, die waren erst seit acht Monaten hier, das war sprachlich etwas komplizierter, aber es hat auch geklappt. Wenn es drei von vierzig Kindern sind, geht das.

Auch zur Parade waren die Temperaturen so heiß, dass das Menschen vom Kloster Posa Projekt Regenschirme als Sonnenschutz verteilten.
Auch zur Parade waren die Temperaturen so heiß, dass das Menschen vom Kloster Posa Projekt Regenschirme als Sonnenschutz verteilten.

Wenn die Nationalität unter den Kindern keine Rolle spielt, macht es dann einen Unterschied, welche der Kinder schon lange im Zirkus dabei sind und entsprechend gute Akrobaten und Pantomimen sind? Oder zieht das mit?
Das zieht mit, das regt die anderen an. Die Zirkuskinder sind es ja gewöhnt, dass es ständig Zu- und Abgänge gibt. Und die sind sehr offen, die gehen auf die anderen zu und nehmen die mit. Das ist bei denen schon regelrecht im Blut.

Quasi die Zirkus Upsala Nationalität?
Genau!

Wie entwickelt sich so ein Stück? Im Goethepark fing es mit den Tischen an, dann kam der Apfel, das Wassertrinken. Wer schlägt das vor?
In der Planungsphase hatten wir das Element des Kinderwagens sehr stark vor Augen. Das hat sich während des Projekts verschoben, das sah man ja auch auf der Parade. Wir haben ihn trotzdem als Symbol für Zeitz genommen. Was der künstlerischen Leiterin Larissa sehr wichtig war, war das Element der Kommunikation. Das wir miteinander reden müssen. Und dazu gehören die Symbole Apfel, als das Tauschelement, das Brot, als Gastfreundschaft und Frieden und der Tisch, als die Zugehörigkeit. Das war die Grundidee, von der aus es losging. Und ich finde es beeindruckend, mit welcher Kreativität die Einzelnen daran gehen.

Im Art-Objekte Workshop wurden die leichten Vögelobjekte gebaut, in der Scharrenstraße waren sie Teil der Performance.
Im Art-Objekte Workshop wurden die leichten Vögelobjekte gebaut, in der Scharrenstraße waren sie Teil der Performance.

Jedes Kind hatte ja ein Solo, war das eine Aufgabe?
Ausgehend von der Grundidee, dem Tisch, hat sich das dann rasend schnell entwickelt. Der Tisch war die Klammer, am Anfang im Goethepark und am Ende das Picknick auf den Wiesen. Da kommt auch die georgische Kultur des Miteinanders am Tisch Sitzens aus dem vorigen Projekt mit rein.

Aber das gibt es doch auch bei uns?
Das ist nicht vergleichbar. Eine georgische Tafel ist etwas anderes als bei uns. Es gibt dort eine viel wichtigere Kultur der Tafel. Bei uns setzt sich der Deutsche meist an seinen eigenen Tisch, auch in der Kneipe. Vielleicht weniger im Süddeutschland, aber hier schon. In Georgien setzt sich keiner alleine an einen Tisch. Es gibt dort unglaubliche Tischreden, es gibt einen Tischredenverantwortlichen, dort ist das eine orchestrierte Sache. Also ausgehend vom Miteinander am Tisch sitzen, fingen sie an zu improvisieren und es bekam jeder Gelegenheit zu zeigen, was er kann. Und das ist immer wieder beeindruckend, wie schnell sich etwas entwickelt.

Und zwischen der Klammer die Stücke? Wie entstand das?
Es gab mehrere Workshops über die 14 Tage. Verschiedene Angebote, jeder konnte sich was aussuchen. Es gab den Zirkus-Workshop, das waren die am Anfang im Goethepark und ein paar Nummern unterwegs. Dann gab es den Art-Objekte-Workshop, in dem die Vögel gebaut wurden, mit der Russisch-Französischen Trainerin Sasha Polyakowa. Das war ein offener Workshop, da konnten auch einfach Leute aus Zeitz dazukommen.

Dann gab es den Theater- und Sound-Workshop, das waren die Aufführungen in der Scharrenstraße Die haben Experimente mit Musik und Sprache gemacht und Theater aus den Fenstern eines leeren Hauses gespielt. Der Chor- und Trommel-Workshop ist auf dem Altmarkt und in der Moritzburg aufgetreten. Dann gab es Media und Streetart, das war der Teil unter der Brücke und die haben auch die große Zeitz-Karte gemacht, die im Goethepark stand, auf der man sehen konnte, wo die Parade lang läuft.

Wie war es diese Workshops in Zeitz zu machen?
Wenn über Zeitz geredet wird, fallen ja oft Worte wie Detroit des Ostens und Depression. Und das war ja anfangs auch unser Vorurteil. Aber wir haben so viel Hilfe bekommen, von der Stadt mit dem Haus der Jugend, den Leuten, die uns über den Burgenlandkreis die Unterkunft verschafft haben, die auch die Kinder ansprachen. Vom Schloß Moritzburg mit dem Kinderwagenmuseum. Von OpenSpace Zeitz und der Nudelfabrik bei den Probelocations. Von Globus Theißen und der Bäckerei Eisenschmidt in Rehmsdorf bei der Verpflegung. Ich finde es wichtig herauszuheben, dass unser erster Eindruck echt täuschte. Denn die Unterstützung und das Feedback, das wir bekamen, das war toll. Dass die Leute bis zum Schluß mitliefen und dann am Tisch mit uns in den Abend hinein saßen. In Leipzig ist es sicher einfacher, das UT Connewitz vollzukriegen, aber in Zeitz hatten wir echt das Gefühl etwas Wichtiges zu machen und die Freiräume und die Unterstützung hierfür zu haben.

Was habt ihr für nächstes Jahr vor?
Ich denke, dass wir ein anderes Format wählen werden, vielleicht etwas, dass weniger kräftezehrend und ambitioniert ist, weniger kosten- und zeitintensiv. Unbedingt etwas, dass den Kontakt zu den Zeitzer Kindern hält. Der deutsche Förderverein Upsala e.V. hat zwar etwa dreißig Mitglieder, aber nur zwei sind vor Ort aktiv dabei, da muss man seine Kräfte etwas einteilen.

Ralf Wagener unterstützt den Zirkus Upsala seit 2015.
Ralf Wagener unterstützt den Zirkus Upsala seit 2015.

Davon bist du einer?
Einer davon bin ich, ja. Viel Unterstützung kommt auch von unserer Vereinsvorsitzenden, Dasha Penzina. Die Mann-/Frau-Power ist also begrenzt. Ohne unsere Freunde im Haus der Jugend in Zeitz wäre das alles gar nicht möglich.

Wie kann man den Verein unterstützen?
Am Besten natürlich durch Mitmachen. Gerade die Logistik (Unterkunft, Verpflegung, Transporte) bindet wahnsinnig viel Zeit. Wer uns dabei im nächsten Jahr helfen möchte, ist sehr willkommen. Und wer keine Zeit hat, aber unser gemeinnütziges Projekt unterstützen möchte, kann uns natürlich sehr gern finanziell helfen.

Wenn die Kinder mit der Abschlussveranstaltung nach zwei Wochen rausgehen, sind die traurig, dass es vorbei ist?
Das hat mich angerührt, vor allem ein Mädchen aus dem Jugendheim und ihre Freundin, die konnten alle nicht mehr loslassen, da gab es jede Menge Tränen. Ich glaube, für viele war das Projekt eine ganz wichtige Erfahrung.

Zeitz lädt zu Wortspielen ein. Gibt es eines dass du magst?
Ich bin kein Fan von diesen Wortspielen. Die sind grad so inflationär. Es gibt allerdings im Kunsthaus (Bibliothek) gerade die Ausstellung »Es ist an der Zeit…« Da gibt es jede Menge guter und witziger Vorschläge für Zeitz.

Info

Den Upsala Zirk in St. Petersburg gibt es seit 2000. Derzeit nehmen ca. 90 Kinder und Jugendliche regelmäßig an den Programmen und Trainings teil, davon etwa 30 mit Down Syndrom oder Autismus. Der Upsala - Interkultureller Zirkusaustausch für Kinder und Jugendliche e.V. (Upsala e.V.) unterstützt seit seiner Gründung 2001 die soziale Arbeit der Upsala Zirk und organisiert internationale Jugendaustausche mit Beteiligung des Zirkus. Seit 2018 ist Upsala e.V. Träger des Projektes Rebels for Peace. Ralf Wagener studierte Ökonomie, arbeitete viele Jahre in Berlin und mehrere Jahre in Moskau und St. Petersburg. Er hat 5 Kinder, lebt seit 2014 mit seiner Familie in Leipzig und arbeitet derzeit an zwei Hausprojekten in Zeitz. Seit 2015 ist er Mitglied beim Upsala e.V.

Credits