Caro und Paul auf ihrem Balkon in Leipzig Plagwitz.

Man kann sich hier ausprobieren ohne gleich volles Risiko fahren zu müssen.

Caro und Paul

Caro und Paul leben gemeinsam in einer Dachgeschosswohnung, die noch Blicke bietet in Hinterhöfe und auf Häuser, die noch nicht komplett saniert sind. Wir haben die beiden an einem späten Nachmittag im November besucht und darüber gesprochen, wie sie die Unterschiede zwischen den verschiedenen Vierteln erleben und wie Ihre »Entdeckungsreisen« aussehen.

Caro, Du lebst ja bereits seit einiger Zeit in Leipzig. In welchen Vierteln hast Du bislang gewohnt? Wie hast Du die Unterschiede in den Vierteln erlebt?
Caro: Ich habe eigentlich in allen Himmelsrichtungen schon gewohnt. Als erstes im Norden, in Gohlis als ich nach Leipzig kam. Meine Mutter hatte eine Bekannte, in deren Wohnung ich mich sehr, sehr günstig einmieten konnte. Die Freundin war damals froh, die Wohnung endlich überhaupt mal vermietet zu bekommen. Das waren am Anfang 180 Euro warm für eine sanierte 70m2-Wohnung, verrückt! Dort habe ich zunächst alleine und dann mit einer Freundin gewohnt. Allerdings hat mich Gohlis als Viertel nicht richtig überzeugt. Die Uni und das Rosenthal waren nah, aber die meisten Leute und Läden in der Umgebung waren eindeutig anders aufgestellt. Als nächstes bin ich nach Reudnitz gezogen. Dort hatte ich viele Freunde, die in nächster Nähe wohnten. Das WG-Leben war überall recht aktiv und auch der Verbund zwischen ihnen war eng. Man traf sich in der einen oder anderen WG. Alle hatten große Küchen und großzügige Zimmer, weil es dort so günstig war. Allerdings hat man auf der Straße und im Haus auch viel soziales Elend mitbekommen.

Lavendel blüht in einem Blumenkasten.
Vom Balkon aus hat man einen herrlichen Blick über die Dächer des Viertels. Der Platz ist begrenzt aber ausreichend, um zahlreiche Pflanzen unterzubringen.
Caro auf dem Balkon ihrer Wohnung in Leipzig Lindenau.
Caro auf dem Balkon ihrer Wohnung in Leipzig Lindenau.

Als nächstes bin ich mit 10 Freunden und meinem Freund im Zentrum in der Nähe vom Hauptbahnhof zusammen gezogen. Erstaunlicherweise war es damals noch überhaupt kein Problem eine große Wohnung mit entsprechend vielen Zimmern zu finden. Wir haben viele wahnsinnig tolle Wohnungen besichtigt, bis wir uns im Zentrum auf rund 370 m2 angesiedelt haben. Als 12er WG waren wir recht bekannt, schon allein, weil wir legendäre WG-Partys mit Hunderten von Partygästen und Band geschmissen haben. Auch war immer irgendjemand zu Besuch und saß mit in der Küche oder auf dem Balkon. Das waren 5 sehr schöne und prägende Jahre. Von dort bin ich für ein paar Monate in die Südvorstadt und dann mit meinem damaligen Freund wieder ins Zentrum für 2 Jahre gezogen.

Ständig entstehen oder entwickeln sich kleinere selbstgemachte Projekträume, Läden, Ateliers, Kunsträume und Kneipen weiter. Es hat etwas Spielerisches.

Nun bin ich seit März 2013 ganz im Westen angekommen. Ich kenne die Umgebung schon lange, da ich hier seit über 5 Jahren arbeite. Erst im Tapetenwerk, jetzt auf der Spinnerei. Vorher fand ich eine räumliche Distanz ganz angenehm. Inzwischen genieße ich es mit dem Fahrrad in 5 Minuten in der Galerie zu sein. Meine Arbeit und mein Privatleben haben sich im Laufe der Zeit immer mehr vermischt, weshalb ich mich über kurze Wege zwischen ihnen freue. Außerdem mag ich am Westen das Handgemachte. Ständig entstehen oder entwickeln sich kleinere selbstgemachte Projekträume, Läden, Ateliers, Kunsträume und Kneipen weiter. Es hat etwas Spielerisches. Man kann sich hier ausprobieren ohne gleich volles Risiko fahren zu müssen und sich sowie sein Konzept weiterentwickeln. Aus der Zeit der 12er-WG kenne ich auch Paul. Er ist gerade von Berlin wieder nach Leipzig, zu mir, gezogen und wir erkunden nun gemeinsam alles, was an Neuem aus dem Boden sprießt. Ich hoffe es bleibt dabei, dass sich vor allem individuelle Projekte ansiedeln statt großer Ketten und die Leute weiterhin im Sommer einfach auf der Straße sowie am Kanal sitzen.

Ein Blumenstrauß in der Küche der Wohnung in Leipzig Lindenau.
Detailaufnahme einer Holzfigur..

Paul, Du hast damals ebenfalls auf diesen 370 m2 gewohnt. Wie hast Du die Zeit damals empfunden?
Die zentrumsnahe Lage und die kurzen Wege waren bequem, das Viertel selbst hatte aber meiner Meinung nach keine Atmosphäre. Es war eben ein reines Wohnviertel, in dem außer Wohnen nicht viel stattgefunden hat. Hier ist für mich auch der wesentliche Unterschied zwischen meiner neuen Heimat in der Merseburger Straße und dem Wohnen in der Innenstadt. Leben passiert hier mehr auf der Straße und es gibt Kiez-Strukturen wie ich sie aus Berlin kenne. Es gibt wesentlich mehr zu entdecken als nur das nächste unnötige Einkaufszentrum in der Innenstadt. Die Menschen ergreifen mehr Eigeninitiative, um ihrem Viertel ein individuelles Gesicht zu geben. Lediglich an der Vielfältigkeit und Qualität des Essensangebots sehe ich noch Nachholbedarf, aber da ist man als Berliner vielleicht auch zu sehr verwöhnt.

Grafitti an einer Hauswand der Lindenauer Nachbarhäuser.
Abendhimmel über den Dächern von Leipzig Lindenau.

Gibt es etwas was ihr hier in Lindenau vermisst, was ihr am Zentrum geschätzt habt?
Paul: Der einzige Vorteil am Zentrum war die Nähe zum Hauptbahnhof sowie auch die Nähe in alle Himmelsrichtungen, da wir viel unterwegs sind. Und mir fehlt noch eine richtig gute Pizzeria hier im Westen.

Caro und Paul in ihrer Wohnung in Lindenau.
Caro und Paul in ihrer Wohnung in Lindenau.

Warum habt ihr euch für diese Wohnung entschieden?
Caro: Mir haben bei dieser Wohnung vor allem die hohen Decken und der Balkon gefallen. Die Wohnung hat durch die ungewöhnlich steile Dachschräge und Blick vom Balkon auf die Dächer der Umgebung ihren eigenen Charme und versinnbildlicht Freiraum.

Sprühdosen in einem Schrank.
Detailaufnahme einer Lampe.
Mehrere Sonnenbrillen hängen aufgereit nebeneinander in der Leipziger Dachwohnung.
Blunmengesteck in der Lindenauer Wohnung.
Eine optische Täuschung lässt den Miniatur-Eifelturm in einer Flasche erscheinen.

Paul, du sagst, du es gibt hier mehr zu entdecken, hast du ein Beispiel für uns?
Paul: Den Ort, den ich als erstes für mich entdeckt habe, bei dem ich das Gefühl „COOL“ hatte, war der Lindenauer Hafen. Ich habe ihn bei Joggen in der Abenddämmerung gefunden und war beeindruckt von der Stimmung, den alten Fabrikanlagen und dem Wasserbecken. Hab dann erst einmal paar Bilder geknipst und mir die alten Fabriken aus der Nähe angesehenen. Seit dem liegt der Lindenauer Hafen öfters mal auf meiner Route.

Weitere konkrete Orte, die es zu entdecken gilt sind beispielsweise die Wagenburg, das Westwerk inkl. Biergarten, das gesamte Kanalnetz inkl. Kanal 28, die Schaubühne, das Kartoffelfräulein und der Wilde Heinz Biergarten.

Plagwitz und Lindenau bieten insgesamt viele Freiräume wie man sie in vielen westdeutschen Städten nicht mehr findet und das spiegelt sich im LeipzigerWesten, im Vergleich zur Innenstadt, deutlich wider. Wohnraum ist günstig und für viele erschwinglich, dadurch ist Raum für Neues. Menschen können sich ausprobieren und eigene Ideen verwirklichen ohne sich dabei finanziell zu übernehmen. Es werden Kneipen eröffnet, neue Restaurants entstehen, Baulücken werden genutzt und umfunktioniert (Biergarten) und unkommerzielle Straßenfeste dienen dem Kennenlernen der Nachbarschaft. Das Viertel erfährt dadurch einen positiven Aufschwung, der spannend ist, ohne dass dabei ein kompletter Austausch seiner Bewohner stattfindet wie es exemplarisch in Berlin passiert.

Es ist interessant zu sehen wie die Leute anfangen, Freiräume und die damit einhergehenden Möglichkeiten für sich zu nutzen und zu entdecken.
Logo der Galerie Queen Anne.
Ein Blick über die Dächer von Leipzig Lindenau.

Das ist für mich persönlich ein sehr wichtiges Argument hier zu wohnen, da genau diese Freiräume für mich immer ein wichtiges Argument für Berlin waren. Diese Freiräume existieren dort zwar noch immer, aber bei weitem nicht mehr in der Form wie es noch vor zehn Jahren der Fall war. In Plagwitz sind diese Freiräume seit langem vorhanden und es ist interessant zu sehen wie die Leute anfangen diese Freiräume und die damit einhergehenden Möglichkeiten für sich zu nutzen und zu entdecken. Positiv ist auch, dass dieser Prozess in Plagwitz zwar kontinuierlich aber auch mit einer gewissen „Langsamkeit“ vorangetrieben wird und somit die alten und die neuen Bewohner gemeinsam wachsen können, ohne dass einer auf der Strecke bleibt (im besten Fall).

Was Plagwitz noch fehlt, sind Orte für die Freizeitgestaltung wie beispielsweise Sportanlagen (Skateplatz etc.) und eine Videothek (kommt bald...). Ich persönlich wünsche mir auch noch den einen oder anderen Späti in Plagwitz, einfach ein bisschen mehr Großstadtkomfort.

Caro: Ich find auch, dass es hier deutlich mehr zu entdecken gibt. Von den bereits beschriebenen kleinen Lädchen, den Ruinen des Lindenauer Hafens, dem weißen Tiger der Karl-Heine-Straße bis hin zu den Graffitis in der Gießerstraße oder den Steintreppen am Kanal.

Info

Caro ist Mitinhaberin einer Galerie und lebt – nachdem Sie in verschiedenen Teilen von Leipzig gewohnt hat – nun seit einigen Monaten zusammen mit Paul in Lindenau.

Links

Credits