Nicht jede Antwort muss am selben Ort geschaffen werden.
Fritjof Mothes
Fritjof Mothes begleitet seit 2007 den Stadtentwicklungsprozess im Bildhauerviertel. Er war der Moderator der verschiedenen Workshops, die bis 2011 den Prozess strukturierten.
Der studierte Stadt- und Regionalplaner bildete bei diesen Veranstaltungen eine Schnittstelle zwischen Stadtverwaltung, Eigentümern und lokalen Akteuren. Mit seinem Planungsbüro StadtLabor erstellte er verschiedene Konzepte für die Blockentwicklung und den Standort des BuchKindergartens vor. Seit 2009 engagiert er sich im Magistralenmanagement Georg-Schwarz-Straße, außerdem ist er Mitgründer und Vorstand von HausHalten e.V.
Wann sind Sie zum Projekt dazugestoßen?
Da muss ich kurz auf meine Person zu sprechen kommen, weil ich in verschiedenen Sachen in unterschiedlichen Rollen tätig bin. Ich habe Stadt- und Regionalplanung in Berlin studiert war schon Anfang der 90er Jahre in Umweltverbänden und Bürgerinitiativen engagiert. Ich beschäftige mich auch deshalb mit Stadtplanung, weil ich glaube, dass diese nicht von oben herab gemacht werden sollte, sondern dass eine Stadtgesellschaft insgesamt eine Stadt für sich entwickelt, in der jeder eine Rolle hat. Wir haben unsere Rolle als Büro auch schon immer so verstanden, dass wir unterschiedliche Interessen und Sichtweisen zusammenbringen. Wir arbeiten im öffentlichen Auftrag, aber gehen die Dinge vielleicht anders an, als das üblicherweise bei einer Auftragsarbeit passiert. Und das war auch ein Ansatz hier im Viertel.
Die Josephstraße wurde damals beispielsweise von vielen als schwarzes Loch bezeichnet. Keiner wollte hin, keiner hatte Hoffnung. Christina Weiß und der Lindenauer Stadtteilverein waren schon immer gut darin die Stellen zu besetzen, die unbesetzt waren und aus ihrer Sicht vorangebracht werden sollten. 2007 haben wir schließlich begonnen, mit der Stadtverwaltung zusammen zu arbeiten und die verschiedenen Workshops zu moderieren. Die planerische Seite war die Fortschreibung des konzeptionellen Stadtteilplans des Leipziger Westens.
Ein Schwerpunkt war dabei die Suche nach einem geeigneten Standort für den Buchkindergarten. Wir haben eine Standortuntersuchung gemacht und uns dem Block auf diese Weise auch planerisch genähert. Ein weiteres wichtiges Ziel war, die Menschen im Viertel miteinander bekannt zu machen und gemeinsames Handeln zu ermöglichen. Das ist eben das typische, zwei Annäherungen, eine im städtischen Auftrag und eine in Kooperation mit einer Initiative.
Das vermitteln Sie dann auch allen?
Ja, das ist uns auch ein Anliegen. Wir arbeiten sowohl im öffentlichen Auftrag, aber verbinden diese Arbeit auch ganz konkret mit Initiativen. Die Idee, den Plagwitzer Bahnhof mit wenig Geld zur Grünfläche zu machen, entstand aus der Erfahrung mit dem Block Josephstraße. Wir wurden von der Stadtverwaltung mit der Prozesskoordinierung beauftragt und arbeiteten mit einem Stundenpool, bei dem ein Teil der Leistung von Bürgerinitiativen vor Ort übernommen wurde. Dasselbe gilt auch für die Georg-Schwarz-Straße, deren Entwicklung wir über das Magistralenmanagement begleiten und mit den Akteuren vor Ort zusammenarbeiten, wie KunZstoffe e.V., dem Lindenauer Stadtteilverein e.V. und dem Bürgerverein Leutzsch. Wir als StadtLaborbüro sind Träger des Magistralenmanagement, aber die eigentliche Arbeit wird über einen Stundenpool von den Menschen vor Ort übernommen.
Sind diese Menschen dann Ihre Arbeitnehmer?
Es sind freie Mitarbeiter. Bestimmte administrative Arbeiten, Steuerungs- und Organisationsleistungen müssen im Büro liegen. Aber die eigentliche Arbeit vor Ort mit den Bürgern sollen diejenigen machen, die vor Ort auch leben, die dort auch aktiv sind.
Ist das etwas, was Sie aus der Blockentwicklung gelernt haben?
Man lernt ja immer. Ganz wichtig war zu erkennen, dass das Ganze nur dann funktionieren kann, wenn die Menschen vor Ort selbst ein Interesse entwickeln und sich engagieren. In der Josephstraße ist dies durch das Engagement der Nachbarschaftsgärten passiert, ohne dass wir steuernd eingreifen mussten. Was grundsätzlich auch unserer Philosophie entspricht. So wenig Steuerung wie nötig, aber so viel Aktivierung wie möglich.
Die Wächterhäuser und Haushalten e.V. sind Ideenkinder aus dem Stadtteil
2007 waren schon mehrere Brachflächen zu einer großen Fläche zusammengeführt worden. Die ersten Zwischennutzungsverträge waren abgeschlossen worden. Ist Zwischennutzung ein Instrument, das man Ihrer Meinung nach weiter verwenden kann?
Ja definitiv. Die Wächterhäuser und Haushalten e.V. sind ja ein Ideenkind aus dem Stadtteil. Wir als StadtLabor haben mit der Architekteninitiative L21 bereits 2003 ein Konzept für die Olympiabewerbung erstellt, das sich mit der Lützner Straße beschäftigte. Es gab zu dieser Zeit viele brachliegende Grundstücke und leerstehende Gebäude und aus dem Stadtteil heraus entstand die Idee, dass man doch auch ein Haus bewachen könne. Das war der Ursprung der Wächterhäuser und Haushalten e.V., den Christina Weiß, Kerstin Gall und Astrid Heck damals gemeinsam gründeten.
Ist das vorbei und war das eine Welle, die nur in Schrumpfungssituationen möglich war?
Nein, ich bin der Auffassung, dass es Zwischennutzung in einer Stadt im Wandel immer geben wird. Es ist das Wesen der Stadt, dass es immer leere Räume geben wird. Es gibt die Webseite leerstandsmelder.de auf der man erkennen kann, dass es vor allem auch in Städten wie Frankfurt, Hamburg oder Stuttgart viel Leerstand gibt. Gerade auch in Städten, in denen aus spekulativen Gründen Objekte leerstehen.
Auch dort muss man eine Antwort finden, wie Leerstand aktiviert werden kann. Im dicht besiedelten Tokio oder New York gibt es einen nicht unerheblichen Teil von brachliegenden und unbebauten Grundstücken. Dort entstehen Popupcafés oder andere Zwischennutzungen. Oftmals befinden sich einfach nur Parkplätze darauf, manchmal Urban Gardening. Das sind prosperierende Städte, die wachsen und ständig im Wandel sind. Deswegen finde ich die These falsch, dass Zwischennutzung vorbei sei. Das sage ich aus Überzeugung als Planer. Zwischennutzung wird nur anders aussehen. In der schrumpfenden Stadt ist die Zwischennutzung eine vollkommen andere, als in einer wachsenden Stadt.
Sind die ehemaligen Zwischennutzer diejenigen, die am wenigsten von der Entwicklung profitiert haben? Auch in Bezug auf die Nachbarschaftsgärten?
Nein, das sehe ich nicht so. Wir haben allerdings jetzt die Situtation, dass in Zeiten des Wiederanspringens des Marktes, die Zwischennutzer Gefahr laufen, verdrängt zu werden. Darum muss man sich kümmern und es gibt dazu auch Aktivitäten von Seiten der Stadt, die Pächter oder Käufer von Grundstücken unterstützt. Die Diskussion, ob es legitim sei die Zwischennutzung auf einen bestimmten Zeitraum zu terminieren, gibt es ja auch bei Haushalten. Ist es nicht legitim, im Vorfeld die Spielregeln einer Zwischennutzung zu definieren, so dass man als Zwischennutzer das Ende dieses Zeitraums im Blick hat und sich frühzeitig Gedanken über den Tag X macht?
Da bin ich nicht sicher, ob das von den Nachbarschaftsgärten in jedem Moment im Blick war. Ich habe nochmals auf die Protokolle der letzten Workshops geschaut. In meiner Rolle als Moderator habe ich immer wieder nach einem Plan B gefragt. Was passiert, wenn der Tag X kommt. Das war 2011. Ich kann verstehen, dass man sich ungern mit einem wenig greifbaren Zukunftsthema auseinandersetzen möchte, wenn man gärtnert und das Ganze ehrenamtlich betreibt. Aber es ist riskant die Augen zu verschließen und auf das Wohlwollen anderer zu setzen.
Wenn man ehrenamtlich arbeitet, hat man die rechtlichen Fragen nicht immer im Blick. Müsste man dieses Engagement nicht stärker schützen?
Diesen Gedanken verstehe ich. Als Mitgründer und Vorstand von HausHalten e.V. ist es unser tägliches Brot, für Verständnis zwischen Eigentümer und Nutzer zu werben. In vielen Städten funktioniert Zwischennutzung nicht, weil die Eigentümer und auch die öffentliche Hand die Erfahrung gemacht haben, dass es manchmal problematisch ist, eine Zwischennutzung friedlich zu beenden. Aus meiner Erfahrung können solche Formen der Vereinbarung nur dann funktionieren, wenn sie Verlässlichkeit bieten. Wir sprechen daher frühzeitig mit den Nutzern und unterstützen sie bei der Kommunikation mit den Eigentümern, falls eine Nutzergruppe nach Ablauf des Zwischennutzungsvertrags an einem Erwerb oder einer Pacht interessiert ist.
Die Zwischennutzer in der nahegelegenen Georg-Schwarz-Straße haben sich mittlerweile durch Pachtverträge oder Hauskäufe abgesichert. Läuft das dort besser?
Ja und Nein. Es passiert dort auch und in vielen Wächterhäusern. Vielleicht haben sich die Menschen nie als Zwischennutzer begriffen, aber es gibt entsprechende Verträge. Auch für das Gelände der Nachbarschaftsgärten gibt es einen Vertrag, den Christina Weiß damals sehr zu Gunsten der Nutzer ausgehandelt hat. Es reichte nicht alleine ein Verkauf des Geländes, sondern es musste schon eine Baugenehmigung vorliegen, um die Zwischennutzung zu beenden. Ich weiß, dass die Nachbarschaftsgärten sich als sehr offen sehen. Aber wie offen sind sie wirklich? Das Viertel verändert sich, immer mehr Menschen ziehen hinzu. Wer darf denn da jetzt noch hinein und wer nicht?
Bei der Entwicklung des Plagwitzer Bahnhofs haben wir auch vor dem Hintergrund der Entwicklung der Nachbarschaftsgärten überlegt, wie man dieses Thema von vorherein berücksichtigen kann. Dort ist die Idee der Bürgergärten entstanden, die jetzt auch realisiert wurde, wo eine bürgerschaftlich organisierte Nutzung von Grünflächen institutionalisiert wird. Mit einem Vertrag zwischen der Stadt und den Bürgern. Es stellt sich die Frage, wieviel Öffentlichkeit und Halböffentlichkeit verträglich ist. Eines der wesentlichen Ziele, die im Workshopprozess entstanden sind, war eine öffentliche Durchwegung zwischen Josephstraße und Siemeringstraße.
Davon ist heute keine Rede mehr. Ich beführworte das immer noch, fühle mich aber alleine auf weiter Flur, weil es weder von städtischer Seite oder von Seite der Nachbarschaftsgärten als wichtiges Planungsziel gesehen wird. Die einen wollen nichts durch den Garten gehen lassen, die anderen wollen die Investition nicht tätigen, die dritten wollen den Bebauungsplan nicht. Im konzeptionellen Stadtplan ist die Entwicklung eines alternativen Wegenetzes für Fussgänger, Radfahrer etc. ein ganz wichtiges Planungsziel. Und wer hat noch den Blick für diese übergeordneten Ziele, von denen der ganze Stadtteil profitiert? Als Stadtplaner halte ich das für wichtig.
Wenn das Gelände der Nachbarschaftsgärten bebaut wird, gibt es im ganzen Viertel kaum noch Grünflächen. Die Position der Stadtverwaltung dazu ist, dass es dort ursprünglich ohnehin keine Grünflächen gab.
Diese Antwort vergisst, dass es sowohl Sanierungsziele für das Sanierungsgebiet Plagwitz gibt als auch den konzeptionellen Stadtteilplan, der feststellt, dass in dem Bereich Grün fehlt und das Ziel formuliert, dass wohnungsnah Grün geschaffen werden soll. Jetzt spielen diese Pläne, die in Schrumpfungszeiten hochgehalten wurden, keine Rolle mehr und werden nicht mehr berücksichtigt. Aber auch von den Menschen vor Ort wird das nicht mehr eingefordert. Vielleicht hat es keine Priorität mehr, aber das finde ich sehr schade. Wenn die letzten Brachen bebaut sind, wird das Thema schnell wieder akut werden.
Ich persönlich benutze den kleinen Fussweg zwischen Helmholtz- und GutsMuthsstraße sehr gerne.
Darauf bin ich sehr stolz, das war ein EFRE-Projekt.
Und den schönen Querweg, der vom Henriettenpark bis zum Plagwitzer Bahnhof geht. Wo früher die Gleise waren.
Das freut mich sehr zu hören, weil es eines unserer Hauptziele war, das Thema der Wegeverbindung hochzuhalten. Ich bin an vielen Stellen hochunglücklich über die momentane Situation. Ein Beispiel ist der Henriettenpark, den man über den Parkplatz des Supermarkts betreten konnte. Dieser Zugang ist geschlossen worden. Aber es hat auch keiner ernsthaft darum gekämpft, diese Wegeverbindung zu erhalten. Der Parkweg endet jetzt in einer Sackgasse. Und es gibt zahlreiche weitere Beispiele dafür, wo Wegeverbindungen nicht berücksichtigt wurden.
Hätte es einen Punkt gegeben, an dem die Nachbarschaftsgärten hätten verstetigt werden können?
Das wäre sehr lange möglich gewesen. Nach Ablauf der Verträge im letzten Workshop 2011 wurde das mögliche Ende der Zwischennutzung angesprochen. Damals herrschte aber mehrheitlich die Auffassung, dass man sich erst konkret damit beschäftige, wenn es soweit ist.
Wenn alles vertraglich geregelt ist und schließlich die Bagger kommen, dann ist der Aufschrei groß
Und dann war es zu spät?
Ja. Bei Planungsprozessen gibt es das Phänomen, dass das Engagement zu einem Zeitpunkt, an dem Veränderungen noch möglich sind, oft gering ist. Wenn alles vertraglich geregelt ist und schließlich die Bagger kommen, dann ist der Aufschrei groß. Das erleben wir jetzt gerade auch. Das ist das Planungs- und Beteiligungsparadoxon. Das kann man bei allen Beteiligungsprozessen immer wieder sehen.
Sie wurden von der Stadt Leipzig beauftragt, die Moderation der Workshops zur Josephstraße zu übernehmen. Wie kann man sich deren Ablauf konkret vorstellen?
Wir hatten einen großen Raum in der Berufsschule um die Ecke, in dem die interessierten Anlieger, Grundstückseigentümer und Mitarbeiter der Stadtverwaltung zusammenkamen und in sehr entspannter und sachorientierter Weise über die Entwicklungen jedes einzelnen Grundstücks sprachen und gemeinsam machbare Visionen entwickelten.
Wie wirkte das Viertel damals auf Sie?
Ein Kollege hat mich damals gefragt, warum ich mich damit beschäftige? Da würde ich doch sicher nicht hinziehen. Aufgrund der besonderen Lage und den Menschen vor Ort war mir als Stadtplaner aber das große Potenzial des Viertels bewusst.
Was gab es denn für Gründe, warum das Stadtviertel Ihrer Meinung nach Potenzial hatte?
Die Lage der Josephstraße ganz nah am Lindenauer Markt als Verbindungsstück zur Karl-Heine-Straße. Dann die Kleinteiligkeit der Grundstücke, die auch eine kleinteilige Entwicklung möglich machte. Und vor allem die Menschen vor Ort, die sich für ihre direkte Nachbarschaft interessieren. Ganz wichtig war der BuchKindergarten als eine Schlüsselinvestition.
Wie haben Sie das gemeinsam angepackt? Gab es übergeordnete Themen oder sind Sie Grundstücksweise vorgegangen?
Es gab zu Beginn ganz absurde finanzielle und grundstücksrechtliche Situationen, die aufgearbeitet werden mussten. Das Ganze konnte nur funktionieren, wenn es auch wirtschaftlich tragfähig ist. Es war uns klar, dass die Grundstückseigentümer ein großes wirtschaftliches Interesse haben. Bei einer grünen Entwicklung muss es immer auch Grundstücke geben, die diese Entwicklung querfinanzieren.
Wichtiger Bestandteil war auch immer die Wegeverbindung, zwischen öffentlichen und halböffentlichen Grün. In den ersten Workshops ging es darum, ein Bild für den Josephblock zu finden. Daraus entwickelte sich später der Begriff Bildhauerviertel. In einer anderen Phase haben wir uns sehr intensiv um die Gestaltung des Straßenraums gekümmert. Dabei herrschte eine sehr offene, am gemeinsamen Ziel orientierte Atmosphäre.
Welche Eigenschaften muss man als Moderator besitzen?
Man muss den Argumenten gleichberechtigt Gewicht geben, alle Argumente und Interessen sichtbar machen und sachorientiert besprechen. Die Aufgabe des Moderators liegt auch darin, zwischen den verschiedenen Parteien zu übersetzen. Bei Haushalten e.V. sehen wir uns als Vermittler zwischen unterschiedlichen Kulturen. Der Eigentümer hat einen vollkommen anderen Blick auf die Welt und auf sein Grundstück als der Künstler, der einen Atelierraum sucht.
Die Kooperation zwischen Stadtverwaltung und Menschen vor Ort war in dieser Form vollkommen neu. Es ging ja nicht nur darum, zwischen Bürgern und Stadtverwaltung zu vermitteln, sondern auch zwischen den verschiedenen Ämtern der Stadtverwaltung. Deshalb halte ich die integrierte Planung für so wichtig, da jedes Amt einen ganz spezifischen Themenblick auf die Umwelt hat. Ich versuche die unterschiedlichen Seiten zu verstehen. Eine Stadt ist deswegen interessant, weil es ein ständiger Interessensausgleich und Aushandlungsprozess ist.
Geht Ihnen da nie die Geduld aus?
Falls dies einmal der Fall sein sollte, lasse ich es mir nicht anmerken. Ich muss ja geduldig sein. Ich finde diesen Aushandlungsprozess spannend. Es wird oft viel zu wenig verhandelt, gesprochen und die Interessen des Gegenübers ernst genommen. Ich versuche die unterschiedlichen Seiten zu verstehen, denn es wird viel zu viel schwarz-weiß gemalt.
Waren die Nachbarschaftsgärten für die Entwicklung des Bildhauerviertels wichtig?
Ja, absolut. Ganz zentral und wichtig. Man darf auch nicht aus dem Blick verlieren, dass Gruppen, die sich gut organisieren können und in der Lage sind, sich Gehör zu verschaffen, oftmals Vorteile gegenüber anderen Gruppen haben. Was ist denn mit der kinderreichen Familie, die nicht in das soziale Milieu der Nachbarschaftsgärten passt, sich aber auch gerne in die Grünfläche setzen will? Geht das? In einer sich verdichtenden Stadt müssen darauf Antworten gefunden werden.
In den USA gibt es Pocketparks, kleine Parks, die dauerhaft grün sind und nicht bebaut werden. In New York werden öffentliche Räume in teuren Stadtvierteln dadurch erwirtschaftet, dass der Eigentümer drei Etagen höher bauen darf und als Gegenleistung einen Teil des Grundstücks abgibt. Der Grundstückseigner erhält seine Baumasse und sorgt im Gegenzug dafür, dass etwas für die Öffentlichkeit übrig bleibt.
Ich bin fest davon überzeugt, dass Investitionen im öffentlichen Raum private Investitionen nachziehen
Die Neugestaltung der Josephstraße hat viel Geld gekostet. Hätte man stattdessen besser einen Teil der Nachbarschaftsgärten erwerben sollen?
Die Straße war in einem schlimmen Zustand und musste saniert werden. Ich bin fest davon überzeugt, dass Investitionen im öffentlichen Raum private Investitionen nachziehen. Das sollte auch im Josephblock erreicht werden. Vielleicht muss die Stadt aber auch investieren, um sich Grundstücke zu sichern. Auch bei den Nachbarschaftsgärten hätte man eine Wegeverbindung im Sinne New Yorks aushandeln können. Es gibt da kein Schwarz-Weiß-Denken. Es wäre mir zu kurz gesprungen, diese beiden Dinge gegeneinander auszuspielen.
Schaltet die Stadt zu langsam von Schrumpfung auf Wachstum?
Das kann man nicht eindeutig beantworten, da dieser Prozess sehr individuell, personenabhängig und auch amtsabhängig ist. Die aktuellen Zahlen sagen, dass Leipzig derzeit in Deutschland am schnellsten wächst. Außerhalb Leipzigs sind wir das große leuchtende Beispiel, auf das alle schauen, weil hier scheinbar alles so toll läuft. Aus der Binnensicht sieht es manchmal anders aus. Der Umschaltprozess läuft und es ist auch ganz normal, dass so etwas dauert.
Die Kreativen haben sehr viel für dieses Wachstum getan, aber gerade hier im Bildhauerviertel scheint dies wenig Anerkennung zu finden.
Da jetzt mal eine Gegenfrage, was wäre Annerkennung?
Den Ort zu sichern oder den Nutzern einen neuen Ort zu geben.
Da muss man immer überlegen, welche Rolle die Stadtverwaltung dabei haben kann. Es sollte sichergestellt werden, dass es im Viertel weiterhin Flächen gibt, die grün bleiben und für alle nutzbar sind. Das kann über einen Ankauf von Teilflächen erreicht werden, über das Planungsrecht oder über privatrechtliche Vereinbarungen mit dem Eigentümer. Die Stadt steht gerade auch vor ganz anderen Herausforderungen, wie zum Beispiel den Bau von Schulen. Nicht jede Antwort muss am selben Ort geschaffen werden.
Mit der Zwischennutzung hat die Stadtverwaltung die Eigentümer sehr unterstützt.
Das ist richtig.
Die Stadtverwaltung hat die Verantwortung, eine Dauerhaftigkeit von Freiräumen zu ermöglichen
Wohingegen die Nutzer zunehmend unter Druck geraten, weil sie sich die Miete nicht mehr leisten können oder die Zwischennutzungen beendet werden, obwohl sie das Viertel ursprünglich mit ihrem Engagement aufgewertet haben.
Das Postulat stimmt. Es waren nicht die Eigentümer, die den Stadtteil hip gemacht und in die Zeitung gebracht haben. Das waren die Zwischennutzer. Deshalb hat die Stadtverwaltung auch die Verantwortung, eine Dauerhaftigkeit von Freiräumen zu ermöglichen. So geschieht die Entwicklung des Bürgerbahnhofs Plagwitz, die unser Büro begleiten durfte, in engster Kooperation zwischen Stadtverwaltung, Anliegern und Nutzern. Entstanden sind auch Bürgergärten und Platz für urbane Landwirtschaft. Dauerhaft.
Was haben Sie hier im Prozess gelernt, das sie jetzt bei anderen Projekten einsetzen?
Wir haben viel mit Bildern gearbeitet, um eine Gesprächsgrundlage zu schaffen. Jetzt ist natürlich vieles in der Josephstraße geschehen, was ich aus städteplanerischer Sicht überhaupt nicht gut finde. Zum Beispiel hätten verschiedene Häuser nicht abgerissen werden müssen. Aber im Grunde ist das Fazit sehr positiv. Wir ließen den Menschen viel Freiraum. Hauptsache war, es passiert überhaupt etwas.
Was ist Ihre Prognose für Leipzig in der Zukunft?
Leipzig wächst dynamisch und hat große Chancen. Darin liegen aber auch die Herausforderungen. Wir leben in einer Stadt, die für mehr als 700.000 Menschen gebaut ist. Eine solche Entwicklung dorthin ist mit Wachstumsschmerzen verbunden. Damit umzugehen, ist mindestens genauso spannend wie mit der Schrumpfung. Durch unsere Erfahrung mit dem Schrumpfungsprozess sind wir in einer so guten Position wie kaum eine andere Stadt, diese Arbeitsprozesse zu übersetzen. Weil wir gelernt haben, anders an die Dinge heranzugehen. Wir haben gelernt, dass es Eigentümerinteressen gibt, aber auch Interessen der Stadtverwaltung und der Öffentlichkeit. Man muss nicht immer nur mit der politischen Keule ans Werk gehen, sondern kann Lösungen auch in einem Aushandlungsprozess finden.
Halten Sie es für möglich, dass Leipzig wieder schrumpfen wird?
Das ist die große Frage der Trendfortschreibung. Man glaubt, dass eine Entwicklung immer weitergehen wird. Es gab eine Zeit in der man glaubte, dass Leipzig immer weiter schrumpfen würde. Deshalb wurde auch so viel abgerissen. Jetzt ist es auf einmal anders, und man denkt wieder nur in Folge dieser Richtung. Wir wissen doch gar nicht, was noch alles passieren wird. Große Sorgen macht mir in meiner Rolle als Moderator die zunehmende Radikalisierung in der öffentlichen Debatte. Das führt zu einer Spaltung in der Gesellschaft, aus der man überhaupt nicht mehr raus kommt. Wie geht das denn weiter?
Wie versuchen sie in einem solchen Fall zu schlichten? Wie gehen Sie damit um?
Es wäre falsch, eine Seite vollkommen zu ignorieren und in eine Ecke zu schieben. Ich versuche im Gespräch zu bleiben und die Diskussion auf eine sachliche Ebene zu bringen.
Es gibt den zur Zeit so populären Begriff der Gentrifizierung. Findet diese denn wirklich statt? Im Bildhauerviertel wurden doch eigentlich keine Menschen verdrängt, da die meisten Häuser ohnehin unbewohnt waren.
Gerade Leipzig ist im Verhältnis zu anderen Städten an einigen Orten immer noch ganz schön leer. Die Stadt kann noch viel mehr Leben vertragen. Was ist dicht und was ist urban? Wie viele Einwohner verträgt die Stadt und was ist eine hohe Miete? In vielen Stadtvierteln hatten wir bis vor Kurzem ein Mietniveau, welches für Hauseigentümer immer noch unrentabel ist.
Da spielen sich teilweise menschliche Katastrophen ab bei Menschen, die ihre Kredite nicht mehr bedienen können, weil sie in den 1990er-Jahren Gebäude gekauft haben, mit denen sie sich verspekuliert haben. Gentrifizierung ist ein Schlagwort, das für viele gar nicht stimmt.
Meine ehemaligen Berliner Kommilitonen wohnen immer noch in Prenzlauer Berg, Berlin. In schicken Wohnungen mit Kinderwagenplatz. Sie sind diejenigen, auf die man mit dem Finger zeigt und für Gentrifizierung verantwortlich macht. Dabei wohnen sie bereits seit 20 Jahren dort und sind mit dem Kiez mitgewachsen. So wie sie heute wohnen, entspricht es dem Wachstum ihres Einkommens und des sozialen Settlements. Die Welt ist nicht so einfach, wie sie in kurzen Schlagworten und Überschriften benannt wird.
Dieses Gespräch ist Teil einer Dokumentation über die Entwicklung des Bildhauerviertels in Leipzig Lindenau. Die Broschüre enstand in enger Zusammenarbeit mit dem Amt für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung (ASW) und dem Lindenauer Stadtteilverein e.V..
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Info
Fritjof Mothes studierte Stadt- und Regionalplanung in Berlin. Seit 1997 betreibt er mit Tim Tröger das Planungsbüros StadtLabor. Er begleitet die Stadtentwicklung in unterschiedlichen Projekten. Er ist Mitgründer und Vorstand von HausHalten e. V..Credits
- Das Interview führte Petra Mattheis
- Fotos von Regentaucher